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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmondo de Amicis
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anämisch sind. Binnen eines Monats breitet sich das Rot auf den Wangen aus, wo vorher nur ein kleiner Fleck rot war, die Arme werden voller, der Rücken strafft sich, die Muskeln treten hervor … Wenn man sie von hinten sieht, erkennt man sie manchmal gar nicht wieder, sie scheinen ausgewachsene Frauen, haben Eleganz und Raschheit der Bewegungen erworben, worin die wahre ästhetische Schönheit liegt, vor allem in den unteren Extremitäten … eine Entwicklung, die einen sprachlos macht. Das ist wirklich sehr tröstlich.»
    Ja, tröstlich war es auch für den Commendatore, der seinen Gedanken nachhing. Und er stellte eine Frage, die tiefem Nachdenken zu entspringen schien. «Abgesehen davon», sagte er, «werden Ihnen aber doch die wenigen, die außergewöhnliche körperliche Begabung und eine Begeisterung gleich der Ihren für die Gymnastik mitbringen, ganz besondere Genugtuung verschaffen, denn neben dem Gros wird es solche doch bestimmt auch geben.» Er schloss die Augen wieder halb und wandte sie erneut nach oben, wie um die Antwort auszukosten.
    «Oh, das schon!», ereiferte sich die Maestra. «Solche gibt es! Und ich erkenne sie mittlerweile auf den ersten Blick, beim ersten Mal, wenn sie kommen, was gar nicht so leicht ist. Denn es sind beileibe nicht immer die schlanksten und scheinbar schnellsten, die die beste Eignung mitbringen. Die ergibt sich aus der mehr oder weniger harmonischen Struktur der Gliedmaßen. Es gibt zum Beispiel dicke Mädchen, die man für plump und ungeschickt halten würde, dabei besitzen sie eine Beweglichkeit und Geschmeidigkeit, die einen in Erstaunen versetzt. Der Signor Commendatore sollte das sehen, in den Pausen bei den ‹ Figlie dei militari › …»
    Der Commendatore schloss die Augen.
    «Denn», fuhr die Maestra fort, «die Vorschriften für die Gymnastik können die Bewegung ja einschränken, so viel sie wollen; die Besten machen außerhalb der Stunde dann doch, was sie wollen. In San Domenico habe ich ein Dutzend solcher Mädchen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren, sie könnten auf der Bühne auftreten, wahre Akrobatinnen, die auf dem Barren Auf- und Abschwünge vollführen, dass einem schwindlig wird, Sprünge von anderthalb Meter Höhe auf dem Sprungbrett, Überschläge …», und mit einem Lächeln setzte sie hinzu: «Zum Glück gibt es keine Zuschauer. Aber ich sage Ihnen, Arme und Beine wie aus Stahl, Taillen, so elastisch wie Sprungfedern: Schönheit pur, ich versichere es Ihnen. Und wenn man bedenkt, dass man alle dahin bringen könnte … Das wäre ein Segen!»
    Ja, das wäre ein Segen gewesen; der Commendatore war davon mehr überzeugt als irgendwer sonst. Und nach kurzer Besinnung raffte er sich plötzlich auf und sprach seinen Gedanken aus: «Hoffen wir, Signora Maestra, dass man nach und nach dorthin gelangt. Am Ende setzen sich die guten Ideen doch immer durch. Unterdessen werden die Widerstände allenthalben schwächer. Und Sie, machen Sie beharrlich weiter mit Ihrem Apostolat, Sie tun ein heiliges Werk zum Wohl unserer armen Mädchen: Wir alle sind Ihnen zu Dank verpflichtet.»
    Die Maestra erhob sich und dankte. Er erhob sich ebenfalls, kam dem Neffen zuvor und begleitete sie höflich bis zur Tür, wo er sich tief vor ihr verneigte.
    Der Sekretär hatte sich die ganze Zeit stehend im Abseits gehalten, reglos, und sich kein Wort der Unterhaltung entgehen lassen, hatte immer wieder abwechselnd die beiden Gesichter erforscht; nun frohlockte er bei dem Gedanken, dass die Maestra einen ausgezeichneten Eindruck auf den Onkel gemacht haben musste.
    Zurück in seinem Büro, blieb der Commendatore mitten im Raum stehen, fuhr sich mit der Hand durch die majestätische weiße Mähne und sagte in väterlichem Ton, gleichsam nur für sich: «Eine sympathische junge Frau.» Er blieb wie in Gedanken versunken stehen.
    «Also», fragte Don Celzani bang, «hätten Sie keine Einwände mehr?»
    Der Onkel schien nicht gleich zu verstehen, was er sagen wollte. Doch als er dann begriff, antwortete er beiläufig: «Von mir aus … keine. Nur», ergänzte er und musterte den Neffen von Kopf bis Fuß, «hast du ihre Zustimmung?»
    Der nahm seine Messdienerhaltung an, die Hände verschränkt, schlug die funkelnden Augen nieder und antwortete bewusst bescheiden: «Ich hoffe es.»
    «Wir werden sehen», sagte der Onkel und musterte ihn noch einmal. Als er sich dann wieder in seinen Sessel gesetzt, den Nacken gegen die Rückenlehne gelegt und die Augen geschlossen hatte, versank

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