Liebe und Gymnastik - Roman
um sie anzusprechen, bot ihr vor allen die seltsamsten Dienste an, und das nicht mehr mit dem Auftreten eines Verehrers, sondern mit dem eines Sklaven. Er ermüdete sie mit einem flammenden, aber demütigen Blick, der nicht um Liebe bat, sondern um Erbarmen; wie ein Echo wiederholte er jedes ihrer Worte. Ihre ganze Person, ihren Geist, ihren zunehmenden Ruhm, den banalsten und trivialsten ihrer Sätze umfing er mit einem einzigen Gefühl maßloser Bewunderung. In ihrer Gegenwart beherrschte er sich noch, doch sobald sie vorüber war, nicht mehr: Dann legte er eine Hand auf den Mund, während er ihr nachschaute, und erstickte so den Schrei der Liebe und des Begehrens, der als klagender, dumpfer Seufzer herauskam. Fast wagte er schon nicht mehr, wie einst, bei der Vorstellung des Glücks zu verweilen, das der umfassende Besitz bedeuten würde, denn kaum hatte er den letzten Schleier vor seinem lebenden Idol gelüftet, tat sich in seinem Geist ein so gleißender Abgrund der Wollust auf, dass er aus Angst, wahnsinnig zu werden, eilends floh. Um sich zu besänftigen, rief er dann zärtliche Gedanken zu Hilfe, er stellte sich das Zuhause des frischgebackenen Ehemanns vor, ordnete die Möbel an, malte sich liebevolle Szenen aus, sah eine weiße Wiege … Doch auch an diesem Zufluchtsort überfiel ihn sofort wieder die Leidenschaft: Er sah noch eine Wiege, zehn, zwanzig, ein ganzes Volk, das aus seinen Liebesakten hervorging, selbst das genügte ihm nicht, und wieder peinigte er seine Fantasie mit der Vorstellung von dieser Person, die ihm stets vor Augen stand, frisch und mächtig, wie das Bildnis unsterblicher Jugend und ewiger Lust. Diese Glut wuchs von Tag zu Tag in der Atmosphäre freundschaftlicher Vertraulichkeit, die sie in dem Glauben erwiderte, er hätte sich mit ihrer Weigerung abgefunden. Bald reichten ihm die vierundzwanzig Stunden des Tages nicht mehr für die bunte und schwindelerregende Folge von Fantasievorstellungen, von hastigen Besuchen auf dem Dachboden, von fünfminütigen Unterhaltungen, erkauft mit einer halben Stunde Warten, von plötzlichen, einsamen Anwandlungen der Zärtlichkeit und der Angst, unter denen er litt und dieses Leiden dabei fast genoss. Die Arbeit scheute er nun. Er verlor den Überblick über seine vielfältigen Geschäfte, sein Leben geriet aus der Ordnung, sogar seine Gesundheit war in Mitleidenschaft gezogen. Sein Gesicht nahm einen neuen Ausdruck an: bizarr, knabenhaft, ängstlich, im Zusammenspiel mit einer großen, naiven und staunenden Güte, wie bei einem Mann, der unentwegt in der verzückten Anbetung einer sich verflüchtigenden Fantasiegestalt verharrt.
Ingenieur Ginoni verfolgte dieses crescit eundo 31 mit neugierigem und wachsamem Auge, und als er eines Morgens im Hof mit der Maestra Pedani zusammentraf, blieb er fünf Schritte vor ihr stehen und drohte ihr scherzhaft mit dem Spazierstock. Dann trat er näher und übersetzte die Geste in Worte: «Ah, belle dame sans merci 32 ! Aber wissen Sie denn nicht, dass der arme Don Celzani Ihretwegen untergeht?»
Die Maestra verstand nicht.
«Aber ja», fuhr der Ingenieur fort, «er verliert den Verstand.» Und er erzählte, was er vom Commendatore erfahren hatte. Seit einiger Zeit funktionierte das Sekretariat nicht mehr richtig, die Verwaltung lief miserabel, die Mieter aus dem anderen Haus in Vanchiglia waren gekommen und hatten dem Hausherrn die Hölle heiß gemacht, weil sie auf ihre Beschwerden keine Antwort mehr erhielten; der gute Sekretär hatte zweimal Konventionalstrafen aufgebrummt bekommen, weil er die Grundsteuern zu spät bezahlt hatte. «Da sehen Sie», sagte er, «wohin die Gymnastik führt! Das sind die verhängnisvollen Auswirkungen der Ertüchtigung des Muskelapparats auf die Hirnfunktionen!» Erst vor drei Tagen hatte der arme Don Celzani sich beim Verkauf von achtzig Klafter Feuerholz von den Gütern des Onkels elendiglich übers Ohr hauen lassen; er hatte einen Rechenfehler begangen, der den Commendatore einhundertzwölf Lire und fünfundsiebzig Centesimi kostete. Der Commendatore hatte ihm einen ordentlichen Rüffel erteilt, er war außer sich. Sollte Don Celzani sich noch so einen Missgriff leisten, hatte er beschlossen, ihn ipso facto 33 seines Amtes zu entheben und ihn fortzuschicken, damit er in anderer Leute Haus herumschmachtete. Und sie, die «kalten Herzens verwundete», hatte den Mut, einen armen Ehrenmann auf diese Weise zugrunde zu richten!
Die Pedani lächelte nicht: Die Sache tat ihr
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