Liebe und Gymnastik - Roman
Baumannianer so mir nichts, dir nichts umsetzen könnte, was eben bedeuten würde, zwischen Männer- und Frauengymnastik keinen Unterschied zu machen. Aber wie man die Letztere einschränken will … das ist wirklich zu schlimm.»
Mit den Augenlidern gab der Commendatore ein Zeichen der Zustimmung. Seiner Ansicht nach bestand das Übel darin, dass man Gymnastik unterrichtete, um dann bei Veranstaltungen und offiziellen Anlässen Kostproben vorzuführen: Aus diesem Grund gab es ein Zuviel an Gemessenheit und Zurückhaltung in den Bewegungen.
«Nicht wahr?», fragte die Maestra lebhaft. «Das ist es ja, was ich immer sage.» Beim Reden ereiferte sie sich und vergaß völlig, was ihr der Ingenieur in Bezug auf den Commendatore gesagt hatte, oder wollte es nicht glauben, und mit der Naivität einer Monomanin kam sie auf das Lieblingsthema des ehemaligen Assessors zu sprechen. «Man sagt: Die Mädchen sollen nicht dieselben Bewegungen ausführen wie die Knaben. Aber ich erwidere: Entweder sind diese Bewegungen gesundheitsfördernd, oder sie sind es nicht. Wenn sie es sind, wie kann man sie dann weglassen aus Rücksichten, für die es keine ernsthafte Begründung gibt? Die Sache ist nämlich die: Die Mädchen sollten nur vor ihren Lehrerinnen oder ihren Müttern turnen. Lässt man also die öffentlichen Auftritte weg, die alles verderben, sind sämtliche Schwierigkeiten ausgeräumt.»
Der Commendatore stimmte zu. Eigentlich sollte man seiner Ansicht nach an den öffentlichen Auftritten festhalten; aber das sagte er nicht. Er beschränkte sich auf eine allgemeine Bemerkung über das große Bedürfnis nach einer – vor allem für Mädchen – energischeren Form der Gymnastik, so wie sie in Deutschland praktiziert wurde. Seiner Meinung nach ließ die jüngere Generation sehr zu wünschen übrig.
Da hatte er bei der Maestra einen Nerv getroffen.
«Und ob sie zu wünschen übrig lässt!», rief sie. «Und dabei machen Sie sich ja gar keine rechte Vorstellung davon, Signor Commendatore. Aber wir, die wir sie genau kennen, unsere Mädchen, die wir die Pflicht haben, sie zu untersuchen und abzutasten, wir können mit Händen greifen, wie absolut notwendig ist, was Sie sagen. Wenn Sie sehen könnten …»
Der Commendatore schloss halb die Augen und hörte mit großer Aufmerksamkeit zu.
«Wenn Sie sehen würden», fuhr die Maestra fort, «in was für einer schlechten Verfassung die Kinder sind! Ich rede nicht von denen, die wirkliche organische Mängel haben. Aber da sind viele mit einer recht guten Gesamtkonstitution, ohne organische Schäden oder irgendwelche erkennbaren Behinderungen, und doch können sie einem leidtun. Sie sind schnell in die Höhe geschossen, aber nur das Skelett ist in die Länge gegangen, die Muskulatur hat sich nicht im gleichen Maß mitentwickelt. Sie haben keine Schultern, keine Arme und keine Brüste. Druck auf die Brust braucht man da wirklich nicht zu fürchten, wie die Mütter es tun. Wegen der kleinsten Anstrengung keuchen und schwitzen sie; manche fallen sogar in Ohnmacht. Sie wirken wie Kinder, die gerade eine Krankheit überstanden haben. Es kann einen wütend machen, wenn man im Unterricht für solche Mädchen klösterliche Beschränkungen auferlegt bekommt, wo sie doch nichts anderes tun sollten, als von früh bis spät zu turnen und Gymnastik zu treiben!»
«Welche Beschränkungen werden Ihnen im Allgemeinen denn so auferlegt?», fragte der Commendatore und betrachtete seine Fingernägel.
«Na … jeder Art!», antwortete die Pedani. «Die Übungen zur Abduktion und zum Heben der Beine … sollen ganz knapp gehalten sein, was weiß denn ich. Und dann am Barren, beim Überschlag und auch am Spannreck, alle Übungen, bei denen die unteren Extremitäten bewegt werden müssen … Für die Größeren weder Klettern am Seil noch an den Stangen. Ich bitte Sie!» Und sie redete immer weiter.
Der Commendatore hörte zu, die blauen Augen zur Decke gerichtet, wie in himmlische Betrachtungen versunken, und bewegte langsam den Kopf zum Zeichen der Zustimmung.
«Und doch», fuhr die Maestra fort, «wenn wir uns trotzdem immer wieder für unsere Ideen begeistern, dann, weil wir sehen, welche Fortschritte man auch mit dem wenigen erzielen kann, das uns gestattet ist. Sie werden es nicht glauben, welche Veränderungen man nach einem Monat Gymnastik bei Mädchen über zwölf beobachten kann, und mehr noch bei denen, die aufgrund von Kinderkrankheiten oder durch erworbenen Lymphatismus mager und
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