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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmondo de Amicis
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heiratete, einen sachkundigen Gesprächspartner für ihre Lieblingsthemen an ihm haben würde, einen stetigen Spiegel der sie beherrschenden Leidenschaft, eine Art intellektuellen Sekretär, musste, so schien ihm, bei ihrer Entscheidung unbedingt ins Gewicht fallen. Und um ihr den letzten Anstoß zu geben, hatte er vor, ihr ein kleines Geheimnis zu enthüllen, das er seit einer Weile schon voller Scham vor der ganzen Hausgemeinschaft streng verborgen gehalten hatte.
    Aber, o weh! Nicht für alle war es mehr ein Geheimnis. Am Tag vor dem, den er für seine dritte Erklärung festgesetzt hatte, verkündete der Student Ginoni, als er zum Abendessen nach Hause kam, eine Nachricht, die alle in schallendes Gelächter ausbrechen ließ.
    «Papa», sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust, «willst du etwas Unglaubliches hören …? Don Celzani ist im Turnverein!»
    Auf das Gelächter folgten ungläubige Ausrufe. Aber ja, er hatte ihn in den Turnsaal am Corso Umberto gehen sehen, zur gleichen Zeit wie die anderen Mitglieder. Es konnte nicht den geringsten Zweifel geben.
    Die Hoffnungen, die Don Celzani auf den Ersten Mai gesetzt hatte, wurden durch ein unvorhergesehenes Ereignis zunichtegemacht. Um den Besuchen seiner Mieter aus dem Weg zu gehen, pflegte der Commendatore jeden Ersten des Monats außer Haus zu verbringen, an diesem Tag jedoch blieb er daheim, wie immer in seinem Lehnstuhl sitzend, als ob er die Leute erwarte. Don Celzani, der alle Vorkehrungen für seinen Angriff getroffen hatte, war darüber so verärgert, dass er sich die Haare hätte ausreißen können. Bis elf Uhr hoffte er, der Onkel werde sich noch entschließen zu gehen, doch dann verlor er alle Hoffnung und begann wie besessen durch die Zimmer zu laufen. Irgendwann kam ihm dann ein tröstlicher Gedanke: dass der Onkel ja vielleicht neugierig war, sich die Pedani näher ansehen und sich mit ihr unterhalten wollte, denn bisher kannten sie sich nur von Begrüßungen im Treppenhaus, und dass dies ein Zeichen für seine guten Absichten sein könnte. Seit dem Besuch beim Oberschulrat hatte der Onkel nicht mehr von der Sache gesprochen, aber Don Celzani war klar, dass ihm das hartnäckige Fortleben seiner Leidenschaft nicht verborgen geblieben war. Wer weiß! Vielleicht hatte er ja wirklich diese Absicht. Da schlug sein Ärger um in Geduld. Sie würde wie beim letzten Mal um halb zwei kommen. Um eins saß der Commendatore in seinem Büro, das majestätische weiße Haupt gegen die Rückenlehne des Sessels gelehnt, die blauen Augen zur Decke gerichtet. Ob das nun Taktik war oder nicht: Als die Haushälterin die Pedani ankündigte, tat er so, als wolle er gehen und dem Neffen das Feld überlassen. Doch dann änderte er seine Meinung.
    Die Maestra trat ein, und es schien ihr nicht unangenehm, den Hausherrn anzutreffen, vielleicht weil das eine neuerliche Erklärung, die sie fürchtete, unmöglich machte.
    Der Commendatore behandelte seine Mieter mit ausgesuchter Höflichkeit und legte dem schönen Geschlecht gegenüber außergewöhnlich ehrerbietige und würdevolle Umgangsformen an den Tag. Er erhob sich, verneigte sich mit geschlossenen Augen vor der jungen Frau, und als er sich wieder gesetzt hatte, bestand er darauf, dass sie sich gleichfalls setzte. Der Sekretär nahm das Geld entgegen und stellte mit zitternder Hand die Quittung aus, wobei er die beiden wiederholt von unten herauf ansah. Eine knabenhafte Erregung hatte sich seiner bemächtigt, als ob er die Pedani in der Familie einführte und bei dieser Gelegenheit die Eheschließung vereinbart werden sollte.
    «Nun, Signorina», fragte der Commendatore voller Würde, gemildert von einem förmlichen Lächeln, als der Sekretär der Maestra die Quittung übergeben hatte, «wie geht es mit der Gymnastik?» Es war klar, dass er sie in ein längeres Gespräch verwickeln wollte.
    Die Maestra antwortete, es sei immer wieder dasselbe: ein Haufen Vorurteile, die zu überwinden seien, bei den Eltern der Schülerinnen und auch bei den Behörden; weswegen die Lehrer einen ständigen Kampf zu führen hätten, was natürlich zulasten des Unterrichts gehe.
    «Vor allem in der Gymnastik für Frauen», sagte der Commendatore ernst.
    «Vor allem in der Gymnastik für Frauen», wiederholte die Pedani, lebhafter werdend, «wegen einer ganzen Reihe von … völlig unbegründeten Rücksichten. Sie werden das wissen. Ich sage ja nicht, dass man bei den heute herrschenden Vorstellungen die Ideen der fortschrittlicheren

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