Liebe und Gymnastik - Roman
sämtlicher Gliedmaßen nur mithilfe der Geräte erreichen kann. Diejenigen, deren Nutzen zweifelhaft ist, sollte man beiseitelassen; aber diejenigen, die … einen nachgewiesenen … anthropologischen Nutzen haben, die sind meiner Ansicht nach unverzichtbar.»
«Na, endlich sagt es mal jemand», rief die Maestra und sah ihn neugierig an. «Und sind Sie nicht auch der Ansicht, dass man den Lehrern, was Art und Anzahl der Geräte betrifft, freie Hand lassen sollte, ihren eigenen Vorstellungen und Überzeugungen zu folgen?»
«Ohne jeden Zweifel», antwortete Don Celzani ernst. «Tut man das nicht, so nimmt man den Lehrern jede Motivation, sich selbstständig Übungsabläufe zu erarbeiten, gemäß den verschiedenen Klassifikationen …», und er zählte sie an den Fingern auf, «anatomisch, pädagogisch, kollektiv, individuell und so weiter. Wer würde dann noch Experimente machen und Forschungen anstellen …?»
Wieder sah die Maestra ihn erstaunt und erfreut zugleich an. Ihre Neugier wuchs, sie blieb auf der Treppe stehen und fragte ihn: «Und welches wären die Geräte, die Sie für unverzichtbar halten?»
«Die Geräte, die ich für unverzichtbar halte», antwortete Don Celzani wie ein Knabe im Katechismusunterricht und zählte wieder an den Fingern ab, «das wären die Stangen … der Schwebebalken, nicht zu hoch über dem Boden, weil das sinnlos ist … das Reck, der Barren natürlich und das Sprungbrett … Allenfalls würde ich ein paar Übungen weglassen … solche am Trapez zum Beispiel.»
«Wie?», entgegnete die Maestra lebhaft, «gehören Sie wohl auch zu denen, die das Trapez gefährlich finden?»
«Nein, ich habe mich getäuscht», antwortete der Sekretär, «eigentlich sollte man das Trapez lassen. Denn wirklich, was ist schon dabei …? Schlimmstenfalls zieht man sich eine kleine Verstauchung zu. Auch darin sind wir uns einig.»
«Dann sind wir uns also in allem einig», rief die Maestra befriedigt. «Und wer das anders sieht, hat keinen Verstand, habe ich recht?» Dann, neuerlich von Neugier angestachelt, fragte sie ihn, als sie schon im Hauseingang standen, mit einem eigenartigen Lächeln: «Befassen Sie sich schon länger mit diesen Dingen?»
Der Sekretär errötete und machte eine unbestimmte Handbewegung, ohne etwas zu sagen. Aber seit diesem Tag kam er bei jeder Begegnung auf das Thema zu sprechen. Der Commendatore besaß Bücher über Gymnastik, die er während seiner Zeit als Vizeassessor im Unterrichtswesen von den Autoren geschenkt bekommen hatte, und stapelweise Ausgaben des «Ginnasta aretino», die ihm ein toskanischer Freund vor Jahren geschickt hatte. Don Celzani las alles, um sich bestimmte Fragen und bestimmte Antworten zurechtzulegen, und so konnte er die Unterhaltung bestreiten. Endlich hatte er den richtigen Aufhänger gefunden und bewunderte den Scharfsinn des Ingenieurs. Wenn sie jetzt bei diesen Themen waren, machte die Maestra alle vier Stufen halt, und so hatte er die köstliche Gelegenheit, sie mit nie da gewesener Muße zu bewundern, und er lernte jede Falte, jeden Knopf und jede Borte an diesem furchtbaren braunen Kleid auswendig. Er entdeckte kleine gewohnheitsmäßige Bewegungen an ihr, die er noch nie bemerkt hatte, er betrachtete jeden einzelnen ihrer weißen Zähne und unternahm mit Blicken wahre Forschungsreisen entlang ihrer Rundungen, manchmal so tief versunken in diese Liebeserkundungen, dass er zu antworten vergaß oder irgendetwas Beliebiges antwortete. Bei diesem Spiel verlor er jedoch bald die Selbstkontrolle, die für seine Zwecke unerlässlich war. Allmählich bildete er sich ein, die Sympathie, die sie für den Gegenstand ihrer Unterhaltung zeigte, gelte ihm, und ihm war, als würde er ganz anders begrüßt, angesehen und angehört als früher. Wonneschauer überliefen ihn unter dem Blick, mit dem sie ihm in die Augen sah, wenn sie ihre Argumente darlegte. Zwei- oder dreimal war er drauf und dran, sich zu verraten und in der Luft nach ihrem Arm zu greifen, wenn sie mit einer ausholenden Bewegung auf den Schwebebalken anspielte. Er hielt sich aber zurück. Immerhin fasste er so viel Mut, dass er sich vornahm, einen neuerlichen Verstoß zu wagen, sorgfältiger geplant als der vorherige, und zwar für den Ersten Mai, wenn sie wieder in die Wohnung kommen würde, um die Miete abzuliefern. Er glaubte, diesmal würde sie ihn nicht mehr völlig zurückweisen können. Es bestand ja nun eine Beziehung zwischen ihnen. Die Vorstellung, dass sie, wenn sie ihn
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