Liebe und Gymnastik - Roman
verlegen, was Don Celzani verwunderte; aber die Verlegenheit rührte nicht so sehr von seinem Besuch her, dessen Zweck sie ahnte, als vielmehr von der hundertprozentigen Gewissheit, mit der sie wusste, ja förmlich sah, dass die Haushälterin an der Tür lauschte und ihr keine Silbe ihrer Unterhaltung entgehen würde. Sie war also gezwungen, kurz angebunden, ja fast schroff in ihren Worten zu sein, und versuchte, diese Schroffheit durch den Gesichtsausdruck zu mildern.
«Signorina», sagte Don Celzani leise, zitternd, nachdem er mit lauter Stimme von dem Wasserrohr gesprochen hatte, «… ich komme, um Sie ein letztes Mal zu fragen … ob Sie immer noch derselben Meinung sind.»
Sie sah ihn wohlwollend an, warf einen Blick nach der Tür und wiederholte mit einem leisen Ausdruck des Bedauerns seine Worte: «Immer noch derselben Meinung.»
Don Celzani erbleichte. Und fragte noch leiser: «Un… unwiderruflich?»
Die Maestra sah wieder nach der Tür, und das Gesicht in einer Regung des Mitleids ein wenig zur Seite neigend, antwortete sie: «Ja.»
Der Sekretär fuhr sich mit der Hand über die Stirn und riss die Augen weit auf. Die Antwort hatte ihn gelähmt: Er fand keine Worte mehr. Das Schweigen hielt an. So konnte man nicht verweilen. Die Maestra, die ebenso wenig wusste, was sagen, gab mit einer Geste, die er bemerkte, Unruhe zu erkennen.
«Dann …», sagte er, «gehe ich …».
Sie antwortete nicht. Er setzte sich in Bewegung, und als er an der Tür war, sah er sie verstört an, mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck, der einen unbeteiligten Beobachter zum Lachen gereizt hätte, und sagte: «Also, an der Trinkwasserleitung ist nichts zu machen!»
Die lächerliche Diskrepanz zwischen Tonfall und Inhalt der Worte rührte das Herz der jungen Frau mehr als alles Flehen: Sie war versucht, ihm irgendetwas Tröstliches zu sagen. Aber ihr Gewissen verbot ihr, ihm Hoffnungen zu machen. Und so sagte sie nur mit einem liebevollen und mitleidigen Lächeln, das er nicht sah: «Nein, Signor Celzani … da ist nichts zu machen.»
Mit einem Schluchzen in der Kehle entgegnete er: «Meine Verehrung!», und ging hinaus.
Da packte ihn die Verzweiflung, denn er liebte sie nun aus tiefster Seele, mit einer Mischung aus glühender Sinnlichkeit und kindlicher Zärtlichkeit, ständig neu entfacht beim Gedanken an diese Umarmung, die ihn berauscht hatte, und von der Erinnerung an ihre vertrauten Unterhaltungen, an so viel Bangen, so viele Hoffnungen und Enttäuschungen, die ihm bereits sein halbes Leben auszumachen schienen. Und es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, sich gegen seine Leidenschaft zu wehren wie beim letzten Mal, weil er fühlte, dass das nicht mehr möglich war. Nein, um den Preis welcher Qualen auch immer: Er musste sie weiterhin sehen, mit ihr sprechen, um sie herumschleichen wie ein Hund, sich ihr bei jedem Schritt in den Weg stellen, den Duft ihrer Jugend atmen und ihre tiefe Stimme hören, oder musste wenigstens ihr Mitleid auskosten, vor ihren Augen seine Fantasie, sein Herz und sein Fleisch peinigen. Die Qualen wurden schlimmer, und er suchte sie. Mit dem Herannahen des Sommers kleidete sie sich noch leichter, und das brachte ihre Formen derart zur Geltung, dass er ins Delirieren geriet. Er stieg wieder auf den Dachboden, kniete, das Gesicht an der Dachluke, in Staub und trockenem Laub, und sie zu sehen, die ihren Unterricht nun mit freiem Oberkörper gab und die breiten nackten Schultern und prachtvollen Arme zeigte, war eine Folter für ihn; auch wenn er sie nicht sehen konnte, lauschte er manchmal eine Stunde lang ihrer Stimme, und diese Kommandos: «Auf den Bauch, auf den Rücken, Handflächen nach vorn, Handflächen nach hinten, Arme gleichzeitig nach oben schwingen» hallten in seiner Seele wider wie Ausrufe der Liebe. Nachts schlief er nicht mehr, um sich keins der Geräusche von oben entgehen zu lassen, bei dessen geringstem er hochfuhr, als hätte er ihre kleinen Füße auf seinem Leib gespürt. In diesem fiebrigen Halbschlaf zermarterte er sich das Hirn, dachte sich Tricks und kühne Vorrichtungen aus, um sie sehen zu können: Löcher im Dachboden, Durchbohren von Wänden, Kombinationen von Spiegeln, unmögliche Verstecke. Und bei dem Grad der Erregung, den er erreicht hatte, nahm er sich, wenn er ihr auflauerte, auch nicht mehr vor den Nachbarn in Acht: Er kam und ging zu jeder Tageszeit, stieg hinauf, folgte ihr auf der Straße, wartete im Hof auf sie, benutzte den fadenscheinigsten Vorwand,
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