Liebe und Marillenknödel
recke mich vorsichtig und versuche angesichts dessen, was ich da sehe, nicht zu nervös zu werden: Vor mir geht es unerhört steil bergab. Oder zumindest so steil, dass ich da nicht einmal auf dem Hosenboden herunterschlittern möchte, geschweige denn auf dem Dach meines kleinen Fiat.
Zu meiner Verteidigung könnte man anführen: Das hier ist ja auch nicht das Land. Zumindest nicht das, was wir in Hamburg unter Land verstehen. Bei uns ist Land etwas, das schön übersichtlich und flach ist, ohne Felsbrocken an Stellen, die sich nicht umfahren lassen. Und ganz sicher ohne Abgründe, die sich plötzlich dort auftun, wo man eben noch die nächste Kurve vermutet hat.
Ich lege den Rückwärtsgang ein und lasse die Kupplung laaangsam kommen, genau so, wie mein Fahrlehrer Herr Hansen es mich kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag gelehrt hat. Aber offensichtlich ist laaangsam zu langsam, denn plötzlich macht Tante Johannas pinker Panda einen Satz nach vorne und säuft ab.
Kein Scheiß, ich hänge mit der Stoßstange über dem Abgrund.
Mir wird ganz schwindelig.
Am liebsten würde ich diese blöde Karre einfach hier stehen lassen und nach Alrein zurücklaufen. Oder nein, anders: Am liebsten würde ich den Panda hier stehen lassen, den Taxi-Messner anrufen und ihn bitten, mich nach Brixen zum Bahnhof zu bringen. Von dort aus würde ich fliehen, irgendwohin, wo es keine Giannis und keine Jirgls gäbe. Im Moment würde ich sogar zum Schwarz Verlag zurückgehen – zur Not sogar als Praktikantin.
Das ist so erniedrigend, ehrlich.
Verdammt, jetzt kommen auch noch zwei Wanderer näher. Was stieren die mich denn so blöde an! Mir steigt das Blut ins Gesicht, und ich versuche irgendeine Geste, die den beiden klarmacht, dass alles in bester Ordnung ist und ich aus purer Höflichkeit warte, bis sie hinter der nächsten Biegung verschwunden sind.
Okay, Sophie, reg dich ab. Und jetzt versuch’s noch einmal.
Ich starte den Motor und lasse die Kupplung noch einmal kommen. Gaaanz langsam.
Der Wagen macht rückwärts einen Satz bergauf, so schnell, dass ich vor Schreck auf die Bremse trete.
Schluck!
Na, hab ich’s nicht gesagt? Ich bin wieder auf dem Weg. Und das sogar fast in Fahrtrichtung.
Ich drehe das Lenkrad und fahre vorsichtig an. Ich kann nicht einfach aufgeben und diese blöde Pension hinter mir lassen. Nicht jetzt.
Als ich gestern Nacht zurück ins Haus gegangen bin, ist mir nicht aus dem Kopf gegangen, was Sarah geantwortet hat, als ich sie fragte, was ich tun kann, damit wieder mehr Gäste kommen.
» Überleg dir was. Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.«
Zunächst hat es sich leider so angefühlt. Fieberhaft habe ich nachgedacht, was ich tun kann. Werbeschilder auf dem Berg aufstellen? Unten an der Weggabelung Flyer austeilen? Pferdeäpfel auf dem Weg zu diesem komischen Relax Hotel verstreuen? Anzeigen in der Neuen Südtiroler Tageszeitung schalten? An einer Homepage basteln?
Mir rauchte richtig der Schädel. Was nicht heißen soll, dass darin auch nur ein einziger schlauer Gedanke warm geworden ist. Denn dummerweise ist es mit guten Ideen wie mit Männern. Wenn du unbedingt eine brauchst, kannst du dir eigentlich sicher sein, dass ganz bestimmt keine um die Ecke biegt.
Na ja. Um mich abzulenken, bin ich in die Küche gegangen. Das habe ich während meiner Magisterarbeit öfter gemacht, wenn mir die Inspiration fehlte. Die besten Ideen kommen einem doch grundsätzlich genau dann, wenn man gerade nicht nachgedacht hat.
Leider fehlte mir gestern Nacht der Appetit, deshalb öffnete ich absichtslos ein paar Schubladen, in der Hoffnung, darin auf eine Idee zu stoßen. Aber natürlich fand ich keine. Stattdessen fiel mein Blick auf das Regal, in dem Tante Johannas Kochbücher stehen.
Ich zog eines heraus und blätterte darin. Und plötzlich wusste ich, was zu tun war. Ich hatte Tante Johannas Gulaschrezept in der Hand.
Seither bin ich sicher, dass ich es schaffen kann. Ich brauche nur einen Metzger, ein Netz Zwiebeln, und eine Zitrone mit unbehandelter Schale.
Es ist alles ganz einfach.
Auch, wenn Sarah behauptet, dass erst wieder Gäste kommen müssen, bevor es sich lohnt, in die Küche zu investieren – ich werde es nicht zulassen, dass irgendwer noch mal dieses widerwärtige Dosengulasch vorgesetzt kriegt.
Ab jetzt wird sich hier etwas ändern.
Und ich werde mir nicht weiter von den Jirgls auf der Nase herumtanzen lassen. Gerade eben habe ich Frau Jirgl befohlen, sich etwas Ordentliches
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