Liebe und Marillenknödel
Moos bewachsenen Felsen entlang, an riesigen Flächen, die ganz von Farnen bewachsen sind, wir sehen kleine Wasserfälle und größere, über die richtige Brücken führen. Und dann bricht endlich die Sonne durch und durchzieht den Wald mit goldenen Fäden aus Licht.
Schritt für Schritt für Schritt.
Wie leicht mir plötzlich wird.
Der Wald ist wunderschön, wie in einem Märchenfilm mit Elfen und Zauberern und Feen. Es würde mich kein bisschen wundern, gleich Ronja Räubertochter zu begegnen, oder den sieben Zwergen.
Heimlich ziehe ich mein Handy aus der Tasche. Ich will nicht, dass Nick denkt, ich könne mich nicht von der Zivilisation losreißen, aber mich interessiert einfach brennend, wie spät es ist. Wow. Wir sind erst eineinhalb Stunden unterwegs, und schon habe ich das Gefühl, Welten durchwandert zu haben. Plötzlich komme ich mir ganz doof vor, dass ich es nicht noch einmal versucht habe, in die Berge zu gehen. Wie idiotisch!
Andererseits: Ganz unanstrengend ist diese Wanderei nicht, zumal jetzt, da der Weg immer steiler wird. Wären da nicht die Wurzeln, die man wie Stufen erklimmen kann, man käme den Abhang gar nicht hoch. Anstrengend ist das! Uffz. Ich hoffe, Nick dreht sich jetzt nicht um, denn ich habe garantiert rote Flecken im Gesicht, und meine Haare sind völlig verschwitzt. Zumindest kann ich spüren, wie mir das enge T-Shirt am Rücken klebt. Außerdem fängt mein Gesicht an zu kribbeln und zu jucken, als würden Dutzende Fliegen und Spinnen darauf herumspazieren. Was hoffentlich nicht der Fall ist.
» Geht es? Oder sollen wir eine Pause machen?«
Mist. Jetzt hat er sich doch umgedreht. Ich hätte nicht so laut schnaufen dürfen, das hat wohl seine Aufmerksamkeit erregt.
» Ach, es geht schon«, sage ich. » Es ist nur …«
» Pssst!«, unterbricht er mich.
Danke auch fürs Zuhören. Sehr höflich.
Obwohl – oh. Jetzt hab ich’s auch gesehen. Wahnsinn.
Wir stehen am Rande einer hellen Lichtung, in die in goldenen Strahlen das Sonnenlicht fällt und an deren anderem Ende so etwas wie eine Quelle sein muss, oder ein Bächlein, auf alle Fälle ist da ein leises Plätschern. Und, ganz in der Nähe, ein Reh.
Und nein, das gibt es nicht: Ein zweites kommt aus dem Unterholz gestakst und stellt sich daneben!
Gott, ist das süß. Jetzt bloß nicht laut atmen.
Nun kommt ein drittes dazu, es stellt sich ein bisschen abseits von den beiden, aber alle drei recken den Kopf in die Luft und horchen in die Ferne.
Ich halte die Luft an und bewege mich nicht.
Die Rehe haben riesige Ohren, die sie in alle Richtungen drehen und große schwarze Augen, in denen sich die ganze Welt spiegelt. Und kleine, kluge Näschen haben sie, schwarze, süße Stupsnäschen.
Sie drehen ihre Köpfe in die eine, dann in die andere Richtung, dann äsen sie weiter.
Ich beobachte die Rehe, dann sehe ich zu Nick, der im selben Augenblick den Kopf zu mir dreht. Wir sehen uns an, einen Augenblick lang – und dann noch einen Augenblick zu lange.
Es ist derselbe Blick wie gestern Nachmittag, und ich würde ihn wirklich gern noch ein wenig länger erwidern, aber leider halte ich die Luft immer noch an. Noch eine Sekunde, und ich ersticke.
Ich atme ein, natürlich viel zu laut, aber anders war das jetzt echt nicht möglich. Die Köpfe der Rehe schießen in die Luft, und sie flüchten mit kleinen, hektischen Sprüngen. Weg sind sie.
Scheiße, denke ich, traue mich aber immer noch nichts zu sagen, so still ist es hier im Wald. Scheiße, ich habe sie vertrieben.
Ich gucke Nick an, offenbar sehr erschrocken, denn der schüttelt den Kopf und lächelt, als wolle er sagen: Ist doch nicht so schlimm.
Ich lächle zurück, und dann passiert es: Er streckt seine Hand nach meiner aus – und ich, ich nehme sie.
Ein irrer Moment. Ich weiß nicht, ob Hände tatsächlich besonders gut ineinanderpassen können, aber genauso fühlt es sich an. Meine Hand liegt in seiner wie in einer Schatulle, die eigens für sie gemacht ist. Es ist, als würde man einen Marmorkuchen zurück in seine Form stecken. Oder in ein maßgeschneidertes Kleid schlüpfen. Oder nach Dutzenden Versuchen endlich den richtigen Schlüssel für ein Schloss finden. Oder … ach, egal. Es dürfte klar sein, was ich meine.
Ohne dass einer von uns das Kommando geben muss, gehen wir weiter. Hand in Hand, Schritt für Schritt. Nur hin und wieder, wenn der Weg zu eng oder zu steil ist, oder wir über die Felsen im Bett eines flachen Bächleins balancieren, müssen sich
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