Liebe und Marillenknödel
blind.
» Dann pulst du den Stein heraus und steckst an die Stelle ein Stück Würfelzucker.«
» Das sind ja Zucker herzchen«, sage ich und betrachte eines davon genauer.
» Würfelzucker war aus«, sagt er. » Jetzt mach du mal.«
Ich gehorche. Mit dem verbundenen Daumen ist das Schneiden ein bisschen kompliziert, aber ich will ihm natürlich nicht sagen, dass der Verband übertrieben war und ein Pflaster völlig genügt hätte. Ich schneide stumm eine nach der anderen auf, hole die Kerne heraus und drücke die Herzchen tief ins Fruchtfleisch. Ich würde Nick gern fragen, wozu der Zucker da reinkommt, traue mich aber nicht. Ich will überhaupt nichts mehr sagen, nicht, solange er so mild mit mir ist und ich mir nicht sicher sein kann, dass er mir wirklich verziehen hat.
So stehen wir nebeneinander und schneiden und pulen und drücken und legen die gefüllten Marillen in eine große Metallschüssel. Dann nimmt Nick das Küchentuch vom Teig. Er knetet ihn noch einmal durch und teilt ihn dann in gleich große Stücke, die er wiederum zu dicken Würsten rollt.
» So, pass auf«, sagt er. » Jetzt machen wir die Knödel. Das geht ganz einfach. Du nimmst ein Stück Teig«, er nimmt eine Rolle und schneidet etwas davon ab, » und drückst es in deine Handfläche, bis es flach ist und eine Kuhle entsteht. Da setzt du die Marille rein. Und dann siehst du zu, dass du die Marille mit dem Teig umhüllst, ohne dass der reißt. Hier, mach mal!«
Er gibt mir den Teig in die Hand, und ich drücke ihn so zurecht, wie er es mir gezeigt hat.
» Gut«, sagt Nick. » Und jetzt die Marille hinein.«
Ich nehme eine Frucht aus der Schüssel und gebe sie in die Kuhle. Ich versuche, den Teig zu verschließen, was gar nicht so einfach ist. Ich ziehe und presse und drücke, kriege es aber nicht hin.
» Der Verband stört«, entschuldige ich mich. » Ohne Daumen hat man irgendwie kein Feingefühl.«
» Komm, ich helf dir«, sagt er und greift zu mir herüber.
Und plötzlich …
Oh Gott, warum schaut er mich jetzt so an mit diesen unglaublich … äh, haselnussbraunen Augen? Und warum guckt seine Nase so neckisch aus dem Gesicht? Okay, Contenance, Sophie.
Was macht er denn jetzt? Er versucht, den Teigbatzen in meiner Hand in eine Form zu bringen, die annähernd der eines Knödels entspricht. Dabei streifen seine Finger meine, und ich kann spüren, wie die Haare auf seinem Unterarm die Härchen auf meinem berühren.
Ich versuche, nicht zu atmen, drei Sekunden lang, vier.
Ich glaube, ich werde ohnmächtig.
Ich sehe zu Nick hoch, und unsere Blicke treffen sich, ich glaube, ich sehe ihn an wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal in seinem Leben vor dem Nikolaus steht, mit riesigen Augen und bangem Gesicht. Unsere Hände umfassen noch immer denselben Knödel, und plötzlich …
Da sind nur seine Augen und seine Lippen, die wahnsinnig weich und voll aussehen und …
Er beugt sich zu mir runter und sagt …
» Gib her, so wird das nichts.«
Er nimmt mir den Teigbatzen aus der Hand und formt ihn in Sekundenschnelle zu einem perfekten, runden Knödel, den er auf ein großes Holzbrett legt.
What the fuck … Was war das? Und was hatte es zu bedeuten?
Offensichtlich gucke ich drein wie ein Trottel, denn er stupst mich an, damit ich ein bisschen zur Seite trete.
» Die Knödel muss ich, glaub ich, alleine machen, sonst krieg ich das Abendessen nicht rechtzeitig hin. Sieh doch du mal nach …«, er nickt in Richtung Tür.
Ja, ja, ich weiß schon. Ich soll nachsehen, wie es in der Gaststube aussieht.
23
Wieder stehe ich an der Schneidemaschine, wieder schiebe ich ein großes Stück Schinkenspeck vor und zurück. Ich muss mich wahnsinnig zusammenreißen, damit nicht noch einmal ein Unfall passiert. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, oder zumindest fast die ganze Nacht. Ich lag im Bett und habe dem Gewitter gelauscht, das über Alrein niederging. Aber nicht der Regen, der gegen die Fenster schlug, hat mich wach gehalten, nicht der Donner, nicht der Blitz – sondern das, was mir durch den Kopf ging.
Dieser kleine Moment. Unsere Arme, die sich berührten. Dieser Blick. Dieser Blick, der einfach nicht dazu passen will, wie Nick davor zu mir war – und leider auch danach. Den ganzen restlichen Abend hat er so getan, als wäre nichts passiert. Er war so professionell und kühl wie immer – vielleicht sogar noch kühler.
Ist so, diesmal habe ich mir das nicht nur eingebildet.
» Hey, ihr, wenn die Suppe noch ein paar Minuten
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