Liebe und Marillenknödel
länger hier steht, dann verdunstet sie!«
» Frau Jirgl! Wenn ich gewollt hätte, dass es heute Abend kalten Braten gibt, dann stünde auch kalter Braten im Menü – und nicht Lagreiner Schmorbraten!«
» Hallo? Hallo! Wenn der Stapel schmutziger Teller hier steht, um mir zu sagen, dass es den Gästen sehr gut geschmeckt hat, dann hab ich’s kapiert! Das Zeug ist jetzt bereit zum Abwasch!«
Da war nichts mehr zwischen uns. Und erst recht nichts mehr von diesem einen Blick.
Ich lege den Schinkenspeck aus der Hand, gehe zum Kühlschrank, aber als ich die Tür geöffnet habe, fällt mir nicht mehr ein, was ich eigentlich suche. Ich gehe zurück zur Schneidemaschine, lasse zwei Scheiben Speck auf den Teller fallen, gehe wieder zum Kühlschrank, aber in dem Augenblick, in dem die Tür aufgeht, ist es wieder weg. Es ist wie verhext. Ich bin schon unter normalen Umständen völlig unbrauchbar, wenn ich nicht genug geschlafen habe, aber im Augenblick bin ich echt komplett durch den Wind. Mit einem nassen Handtuch könnte man heute Morgen mehr anfangen als mit mir.
Oh weh. Und jetzt höre ich auch noch Schritte auf der Treppe.
Schluck.
Es sind seine Schritte, so viel ist sicher. Ich konnte sie schon an Tag zwei seiner Anwesenheit von denen der anderen unterscheiden. Nicks Füße sind die einzigen im Haus, die zwar männlich und bestimmt, aber trotzdem leicht und behände und kein bisschen plump klingen.
Sie kommen näher – und schwupps, da ist er und steckt den Kopf durch die Tür.
Die Anspannung schiebt sich wie ein Brett zwischen meine Schultern.
» Morgen!«, sagt er, als sei nichts.
» Danke, ich brauch nichts aus der Stadt«, sage ich, ohne aufzusehen. Ich sollte mir den Typen aus dem Kopf schlagen. Es ist völliger Blödsinn, sich in den Koch zu verlieben. Ich habe mich bei ihm entschuldigt, danach hat er mir beigebracht, wie man Marillenknödel macht und mir dabei mal eine Sekunde lang zu tief in die Augen gesehen. Es ist komplett albern, eine große Sache daraus zu machen. Und überhaupt, das war gestern, und heute bin ich wieder seine Chefin.
» Ich fahre nicht ins Tal«, sagt Nick.
Oh.
» Ach so?«, sage ich und versuche, möglichst desinteressiert zu klingen.
» Ich geh ein bisschen rauf«, sagt er.
Rauf. Hä? Er meint doch wohl nicht …
» Wandern?«, frage ich entsetzt.
Ich meine, es ist schon klar, dass es Leute gibt, die eigens in die Berge kommen, um so etwas tun, aber ich habe das immer für etwas gehalten, was jemandem in meinem Alter niemals einfallen würde. Normale Menschen mit einem halbwegs passablen Schuhgeschmack und einer gesunden Verachtung für Funktionsunterwäscheträger laufen nicht irgendwelche Berge hinauf. Allenfalls nehmen sie die Seilbahn und schauen dann von oben herunter.
» Klar«, sagt er.
» Aber es ist erst …«, ich sehe auf die Uhr, » halb sieben!«
Nick lacht. » Morgens ist es auf dem Berg am schönsten!«
Ich starre ihn verständnislos an.
» Komm mit, wirst schon sehen!«, sagt er und lacht wieder.
Ich starre ihn immer noch an, aber möglicherweise hat sich mein Blick ein klein wenig verändert. Hat er mich gerade eingeladen, mit ihm wandern zu gehen?
» Komm mit«, sagt er noch einmal, mit einer Stimme, die plötzlich sehr leise, sehr ernst und sehr entschlossen ist.
» Ich hab aber gar keine Wanderschuhe«, sage ich, und diesmal schaut er blöd.
Keine Ahnung, was daran so verwunderlich sein soll. Ich meine, ich besitze doch auch keine Paragliding-Ausrüstung! Jetzt nur mal so als Beispiel.
» Gar keine?«, fragt er.
» Na ja, in meinem Zimmer stehen noch die alten Schuhe von Tante Johanna. Aber erstens habe ich keine Ahnung, ob die passen, und zweitens muss ich mich ums Frühstück kümmern. Ich kann nicht eben mal so verschwinden, das solltest du eigentlich wissen.«
Keine Ahnung, warum mir die zweite Hälfte des Satzes so pampig geraten ist, deshalb schenke ich ihm schnell ein Lächeln.
» Hol mal diese Schuhe«, sagt Nick. » Ich weise derweil die Jirgls ein. Die können ruhig mal aushelfen. Dass du jeden Morgen das Frühstück machst, das ist doch lächerlich!«
Hm. Wo er recht hat, hat er recht, das muss man ihm lassen.
» Na los, jetzt geh diese Schuhe anprobieren!«
Auf meinem Zimmer schlägt mein Herz so schnell, dass mir die Finger zittern, und ich ein paar Augenblicke brauche, bis die Schnürsenkel von Tante Johannas Wanderschuhen gelöst sind. Es sind altmodische Ledertreter, die fast wie Museumsstücke aussehen, mit runder
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