Liebe und Marillenknödel
Frühstück in einer Bauarbeiter-Kneipe einnehmen, dann wäre ich vielleicht doch eher in Johannas Wanderschuhe geschlüpft.
Nick jedoch scheint von dem Aufruhr, den ich verursache, nichts zu bemerken. Er rückt zwei Barhocker zurecht, zieht Geldbeutel und Handy aus den Hosentaschen und legt beides vor sich auf den Tresen. Dann ruft er dem alten Mann, der die riesengroße fauchende Espressomaschine bedient, zu: » Griasti, Joseph!«
Der Mann fährt herum, ein Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus, wobei sich seine Falten wie ein Vorhang nach links und rechts schieben.
» Nikolaus, griasti! Magsch an Cappuccino?«
» Zwoa«, antwortet Nick. » Für’d Sophie auch einen.«
Ich kann’s nicht glauben. Bis jetzt habe ich Nick immer nur Hochdeutsch reden hören. Aber er spricht tatsächlich auch Hottentottisch.
» Und zwoa Cornetti«, ruft er Joseph hinterher.
Cornetti? Ich hoffe, ich bekomme zum Frühstück kein Eis. Ach, nein – Joseph nimmt zwei Hörnchen aus der Vitrine, legt sie auf zwei Teller und platziert sie vor uns.
» Kaffee kemmt sofort«, sagt der alte Barmann und wendet sich wieder der Kaffeemaschine zu. Er dreht mal hier und mal da, holt zwei Untertassen und zwei Tassen. Dann fragt er, wie nebenbei über die Schulter hinweg: » Und, mit der Annie alles paletti?«
Annie? Welche Annie?
Aber Nick macht nur eine Handbewegung, die ich nicht verstehe, und antwortet nicht weiter. Stattdessen greift er sich sein Hörnchen und hat mit einem Haps die Hälfte verschlungen.
» Probier mal!«, sagt er mit vollgebröseltem Mund.
Annie, na ja. Wer soll das schon sein. Wahrscheinlich eine Verwandte, schließlich kommt er ja aus Brixen.
Ich nehme einen Bissen von dem Hörnchen, es schmeckt tatsächlich so herrlich, dass ich gar nicht anders kann als zu grinsen.
Nick lächelt mit vollem Mund zurück.
» Die sind von der Bäckerei Michel. Hammer, oder?«
Ich nicke. » Ist das der wahre Grund, warum du jeden Morgen zum Einkaufen runterfährst? Weil wir zum Frühstück bloß langweiliges Brot von gestern haben?«
Nick lacht. » Könnte sein.«
» Wir sollten diese Hörnchen bei uns zum Frühstück anbieten.«
» Klar«, sagt Nick. » Ich war mit dem Typen, der die Bäckerei jetzt führt, in der Schule. Wir könnten mal bei dem vorbeifahren und versuchen, was zu deichseln, wenn du magst.«
» Gute Idee«, sage ich. Dann sehe ich mich in dem Lokal um.
» Und hier bist du also aufgewachsen?«
» Hier drin nicht«, sagt Nick grinsend. » Da drüben.«
Er zeigt durch das Fenster auf das gegenüberliegende Haus.
» Das da hinten, man sieht von hier aber nur den Kamin.«
Ich beuge mich nach vorne, spähe durchs Fenster, dann sehe ich ihn auch. Dem Anschein nach ist es ein ganz normaler Schornstein, trotzdem spüre ich unmittelbar eine Verbindung zu ihm.
» Aber hier bin ich jeden Tag vorbeigekommen, auf dem Weg zur Schule.«
Mein Blick geht in Richtung Bürgersteig.
» Ich kann’s mir bildlich vorstellen«, sage ich und lächle. » Wie du da drüben die Straße entlangspringst, mit einem Stöckchen den Zaun entlang, mit Ledertornister und in kurzen Hosen.«
» Hey«, sagt Nick. » Auch in Italien gab es Scout-Schulranzen!«
» Scout?«, sage ich und schüttle missbilligend den Kopf. » Bei uns hatten die coolen Jungs einen McNeill.«
» Ich war aber nicht cool«, sagt Nick.
Ich sehe ihn prüfend an, aber er verzieht keine Miene. Trotzdem glaube ich ihm keine Silbe.
» Bestimmt waren die Mädels reihenweise verliebt in dich.«
» Blödsinn.«
» Und du bist mit dem Mädchen gegangen, in das alle anderen Jungs verknallt waren.«
» Quatsch!«
» Doch!«, sage ich. » Bestimmt!«
Er grinst. » Lass uns das Thema wechseln.«
» Meinetwegen«, sage ich und frage, nachdem ein paar Augenblicke vergangen sind: » Wieso bist du hier weggegangen?«
» Ich hab dir doch gesagt, du sollst das Thema wechseln!«, lacht er und schlägt mit dem Kaffeelöffel nach mir.
» Nein, im Ernst«, sage ich.
» Ach …« Sein Blick geht in die Ferne. » Irgendwann denkt man eben, man müsse in der Stadt leben. Bisschen Abenteuer ins Dasein bringen und so.«
» Und das denkst du jetzt nicht mehr?«
Er schüttelt den Kopf. Dann wird sein Blick neugierig.
» Und du?«
» Ich … ich weiß nicht. Ich war mir in den letzten Wochen ehrlich gesagt nicht immer ganz sicher, ob ich dieses Berg-Ding wirklich will. Ich hab das Gefühl, dass es auf dem Land mehr Feindschaften gibt als in der Stadt und dass es die Leute
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