Liebe und Tod in Havanna
bin immer noch da und geh ihnen auf den Sack! Jedenfalls gehe ich nicht mehr ins Theater, meine Freunde lassen mich nicht. Danke, dass Sie gekommen sind und willkommen in Kuba!«
Die Audienz war beendet. Fidel verschwand im Haus. Alle Anwesenden erhoben sich und verließen schweigend den Garten.
Abgesehen von der jungen Frau in Uniform.
Als hätte er seine Gedanken erraten, näherte sich ihm Abel Prieto, der Kulturminister, legte ihm eine Hand auf den Arm und flüsterte: »Sie ist schön, nicht? Aber es ist nicht, wie Sie denken. Sie ist nur eine Leibwächterin.«
4
D IE L IEBE
In jener Nacht hatte Maria so gut wie gar nicht geschlafen. Auf der Rückfahrt von Herradura, nachdem sie den Alten dort zurückgelassen hatten, hatte Raúl sie im Lastwagen ausgefragt. Raúl war der Parteisekretär der Region. Und er war der gelegentliche Liebhaber von Maria.
»Un Cubano que no tiene por lo menos cinco mujeres es un pájarito.« Was so viel hieß wie: Ein Kubaner, der nicht mindestens fünf Frauen hat, ist schwul.
Diese Volksweisheit war nicht falsch, sagte aber längst nicht alles.
Seit dem, was Fidel el período especial getauft hatte, lebte das kubanische Volk mit derart unüberwindlichen wirtschaftlichen Problemen, dass Liebende sich nur selten in eine richtige Beziehung stürzten. Da es keine Transportmittel gab, brauchte man furchtbar lange, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. Mit den endlosen Schlangen an den Bushaltestellen und den camellos – umgebaute Sattelschlepper –, von denen jeder zweite ausfiel, brauchte man von einem Ende Havannas zum anderen drei oder vier Stunden.
Dazu kamen die Probleme mit der Unterkunft. Nur wenige Kubaner, Erwachsene wie Kinder, besaßen ein eigenes Zimmer.
Meist hauste man zu dritt oder zu viert zusammengepfercht in einem Zimmer. Großmutter, Cousin, Neffe nächtigten auf im Zimmer verstreuten Matratzen, die man am Morgen auf dem Schrank stapelte. Die einzigen Orte, an denen man sich ungestört lieben konnte, waren die Straße, der Hinterhof, Parkbänke auf öffentlichen Plätzen oder der Strand.
Maria hatte dieses Problem nicht, da sie ihre Mansarde, ja, sogar die ganze Schule, wenn die Kinder fort waren, für sich allein hatte.
Aber Raúl wohnte weit weg, auf dem Weg nach Pinar del Río, und durfte nur ab und zu den Lastwagen benutzen. Außerdem war er, wie die meisten Kubaner über dreißig, bereits verheiratet und hatte zwei Kinder.
Natürlich hatte er sich, wegen eines Versprechens, das er Maria gegeben hatte, scheiden lassen, doch da seine Frau nirgendwo anders hin konnte, lebten sie weiterhin zusammen. Raúl war ein schöner Mann. Er sah ein bisschen aus wie der Che. Derselbe unruhige Blick, dieselbe katzenhafte Silhouette. Er gefiel vielen Frauen und seine Stellung als Parteisekretär verschaffte ihm zahlreiche Gelegenheiten, seine Verführungskünste auszuprobieren. Der Parteisekretär ist in Kuba gleichzeitig so etwas wie der Sozialarbeiter in seiner Region und eine Art Psychotherapeut. Für jeden noch so kleinen Streit, jeden noch so kleinen Konflikt mit den Nachbarn kam man zu ihm und suchte seinen Rat.
»Ich geh mal eben unter deinem Wasserfall duschen, Maria!«
Raúl hatte den Laster vor der kleinen Schule zum Stehen gebracht und beeilte sich, herauszuspringen, als sie ihn am Arm fasste.
»Nicht heute, Raúl. Ich möchte ein paar Tage allein sein.«
»Bist du wegen des Ausländers so merkwürdig?«, fragte Raúl abfällig.
Man muss dazu sagen, dass man in Kuba Ausländer nicht besonders schätzt. Vor allem nicht jene Ausländer, die den Kubanern ihre Frauen wegnehmen.
Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Kuba war immer sehr gastfreundlich gegenüber den Genossen, die von überall her gekommen sind, um gemeinsam mit dem kubanischen Volk »den Sozialismus zum Sieg« zu fuhren. Aber der Tourist, der mit seinem Dollarbündel in ein Land kommt, in dem es nichts gibt, und der sich mühelos alles kaufen kann, ist bei jedem ehrlichen Kubaner, der nicht versucht, aus ihm Profit zu schlagen, sehr ungern gesehen.
Ein Mädchen, das mit einem Ausländer ausgeht, kann am Abend so viel Geld nach Hause bringen, wie sein Vater in einem Jahr verdient. Und meistens lässt der Vater es zu. Mit allen psychischen Folgen, die man sich nur vorstellen kann.
Vor dem explosionsartigen Anstieg der Prostitution und des Handels jeglicher Art, die mit dem beginnenden Massentourismus einherging, hatte die Regierung ein extrem
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