Liebe und Tod in Havanna
wusste es! Pedro ist da! Danke lieber Gott!«
Aber es war nicht Pedro, sondern nur ein alter Taxifahrer mit einem Dreitagebart und dem Stummel einer Puro im Mundwinkel, der ihr umständlich einen großen Strauß roter Rosen überreichte.
»Señorita Maria?«
»Si, soy yo!«
»Le traigo estas flores de parte del Francés! Cuidado, hay también una cartita!«
Sie nahm den Strauß und suchte den Brief.
»Dónde está la carta? No la veo!«, rief Maria aufgeregt.
»Puta Madre!«, fluchte der Alte und kehrte zu seinem Taxi zurück. »Se habrá caído! A no! Aquí está! Perdona, está un poco sucia, se cayó en el aceite.«
Er hielt ihr den fettigen Umschlag hin.
»Bueno, adiós!« Dann brach er in Gelächter aus und spuckte in hohem Bogen tabakbraunen Speichel auf den Boden. »La puta! Das ist das erste Mal, dass ich dreihundert Kilometer fahre, um Blumen zu überreichen! Que suerte niña!«
Dann ließ er den Wagen an und wendete lachend, um nach Havanna zurückzukehren.
Sie setzte sich auf die hölzerne Freitreppe.
Wer immer an jenem Morgen auf der Straße nach La Palma an der kleinen Holzschule vorbeigekommen wäre, hätte überrascht die vollkommenste lebende Reproduktion eines kitschigen englischen Kupferstichs vorgefunden: eine junge Frau im Nachthemd, die, einen Rosenstrauß im Arm und einen Brief in der Hand, auf den Stufen eines alten Kolonialhauses saß, vor der Kulisse dieses idyllischen Hügels, einem Sinnbild der Schöpfung der Welt.
Havanna, Montagnacht
Zuallererst einmal sollst du wissen, dass du gestern Abend eine unglaubliche Wirkung auf mich hattest. Ich weiß nicht, ob es das ist, was man Liebe nennt, aber so muss sie sich anfühlen. Ich habe damit wenig Erfahrung. In der Tat glaube ich, dass ich noch nie verliebt war. In meinem Leben ist alles zu schnell vergangen. Ich habe jede meiner Frauen betrogen, noch bevor ich sie überhaupt geliebt habe. Ich bin ein altes Schwein, das sein Leben damit verbracht hat, jedem Rock hinterherzulaufen und niemals stehen zu bleiben.
Jetzt bin ich alt und das beunruhigt mich fürchterlich. Du bist so jung! Natürlich, du fandest mich sehr kraftvoll unter dem Wasserfall. Großer Gott, wer wäre das nicht gewesen, so wie du mich gestreichelt hast! Aber wenn sich erst einmal die Gewohnheit eingeschlichen hat, und mit den Jahren, die für mich notgedrungen schneller vergehen werden als für dich … Aber ich habe solche Lust, dich wiederzusehen!
Ich gehe auf Tournee durch die Provinz. Es wird hart für mich werden, die Rose ins Leere zu werfen. Am Sonntag spiele ich in Pinar. Eine Nachmittagsvorstellung um drei im Praga-Kino. Ich möchte gern, dass du kommst. Findest du eine Fahrmöglichkeit? Den Lastwagen vielleicht? Sonst nimm ein Taxi, ich gebe dir das Geld zurück.
Wenn du mich noch einmal in deine kleine Schule einlädst, könnte ich deinen Kindern am Morgen eine Französischstunde geben und ihnen ein Gedicht beibringen.
Und danach können wir weitersehen.
Ich hätte dir so gern selbst die Blumen gebracht. Aber mein Sohn hat es mir verboten, ich spiele heute Abend in Matanzas.
Ich werde an dich denken. Ich glaube, ich liebe dich.
Pedro
––– ¤ –––
Als die Kinder zu ihren Bänken strömten, saß Maria bereits hinter ihrem Pult. Vor ihr, in einer großen, mit Wasser gefüllten Konservenbüchse, thronte der riesige Strauß Rosen.
»Kinder, der Franzose wird nächste Woche wiederkommen. Ich möchte, dass ihr ihn überrascht.«
––– ¤ –––
»Sehr verehrte Damen und Herren!
1906 hat die große Sarah Bernhardt in diesem Theater eine legendäre Vorstellung gegeben! Matanzas hat die Franzosen immer geliebt. Die Zuckerbarone aus Haiti haben sich nach der Revolution hier niedergelassen und der gute Doktor Bonnet hat mit seiner Apotheke Generationen von Matanzeros versorgt. Matanzas ist die französischste unter den Städten Kubas.
Compañeras, compañeros, ich bitte euch um Beifall für einen berühmten französischen Schauspieler, für Genossen Pedro, der euch die Worte des großen kommunistischen Dichters Jacques Prévert vortragen wird.«
Der Bürgermeister von Matanzas, ein sympathischer bärtiger Hüne, faltete die Niederschrift seiner Rede zusammen, drückte herzlich Pedros Hand und überließ ihm dann seinen Platz unter den Scheinwerfern. Der Saal war brechend voll. Jede Menge Frauen, die ihre schönsten Kleider trugen und sich hektisch Luft zufächelten. Und Jo saß wie ein braver Schüler
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