Liebe und Tod in Havanna
Place de la Concorde gelaufen war.
Ob Anne noch an ihn dachte?
Er dachte oft an sie, vor allem an ihre stürmischen Umarmungen in Miami. Die Erinnerung daran wühlte des Nachts in seinen Eingeweiden.
Wie konnte man an einem Abend so leidenschaftlich sein und sich am nächsten Morgen wie zwei Fremde fühlen? Anne hatte recht, der Mensch war dazu geschaffen, allein umherzuirren, wie ein Hund …
Wie beinahe jedes Mal, wenn er an einem Fenster stand, war Jo versucht, sich in die Leere zu stürzen. Es war ein Spiel, eine Methode, um seine Lebenslust zu überprüfen. Er liebte es, an Selbstmord zu denken, um sich seinen Widerstand dagegen zu bestätigen.
»Der schönste, längste und raffinierteste Selbstmord ist das Leben!«, rief er laut auf den leeren Platz hinunter. Dann begann er zu singen:
»Ausencia quiere decir olvido
Decir tinieblas decir jamás
Las aves suelen volver al nido
Pero las almas que se han querido
Cuando se alejan, no vuelven más …«
An einem Fenster nebenan stand sein Vater und lauschte seinem Gesang. Auch er schlief nicht. Aber er hielt sich ohne einen Laut im Schatten verborgen. Er hatte Angst, mit seinem Sohn zu reden.
––– ¤ –––
So weit fort von Maria langweilte Pedro sich zu Tode. Nun, da die ganze Welt vom Handy-Fieber erfasst wurde, man rund um den Globus den lieben langen Tag wegen jeder noch so banalen Kleinigkeit telefonieren konnte, war Kuba eine Insel, die von der Kommunikation links liegen gelassen wurde. Wer 1959, als die Revolution siegte, noch kein Telefon besaß, konnte bis ans Ende aller Tage warten, um ans Telefonnetz angeschlossen zu werden.
In den Städten konnte man sich mit etwas Phantasie einigermaßen behelfen, aber jemanden auf dem Land erreichen zu wollen grenzte an Utopie.
Pedro hatte sogar daran gedacht, jeden Tag ein Taxi zu schicken, aber in einem Land, in dem schon ein Fahrrad purer Luxus war, wäre das furchtbar arrogant gewesen.
Und so blieb er abends nach der Vorstellung auf seinem Zimmer und verbrachte Stunden damit, dauernd zwischen der lauwarmen Dusche und dem nassgeschwitzten Bett hin und her zu laufen. Pedro war noch nie in seinem Leben eifersüchtig gewesen – schließlich hatte er immer die bequeme Position des Liebhabers besetzt. Der Gehörnte war also zwangsläufig der andere.
Aber bei Maria war das völlig anders. Er war nicht direkt eifersüchtig. Wie sollte man auch eifersüchtig sein, wenn man eine Frau gerade mal zwei Stunden im Arm gehalten hatte? Es war mehr eine Art der Verzweiflung, ein fatalistisches Gefühl. Er war alt, sie war jung. Er war nur irgendein Tourist in ihrem Leben. Und was sollte er tun, wenn er erst einmal wieder bei ihr auf dem Hügel wäre? Gemüse anbauen, Aquarelle malen?
Vielleicht war das gar nicht einmal so dumm! Er könnte sich Gartenbücher schicken lassen und eine Ausstattung für Landschaftsmaler. Mit seinen Ersparnissen würde er sich hundert Jahre über Wasser halten können, vor allem in Kuba.
Er schlief selten vor Sonnenaufgang ein, sodass er nicht viel von Santiago oder Guantánamo sah. Abends das Theater, anschließend die Restaurantterrassen, wo Jo sich an die Bewunderinnen seines Vaters heranmachte.
»Ich erkenne dich kaum wieder, Papa! Du hast zehn Kilo abgenommen, isst kein Dessert mehr und vor allem interessierst du dich nicht mehr für Frauen. Du lässt dir die Hälfte des Zaubers von Kubas entgehen.«
»Ich werde später noch genug Zeit dafür haben. Es ist zu heiß, und davon mal abgesehen, bin ich Profi, ich muss mich auf meine Vorstellung konzentrieren!«
Pedro sprach mit seinem Sohn nie über Maria. Er war zu stolz, um zuzugeben, dass er verliebt war. Und außerdem erschien es ihm unpassend für sein Alter.
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Das Praga-Kino in Pinar del Río war bis auf den letzten Platz gefüllt. Eigentlich hätte die Vorstellung im Milanés, einem schönen Kolonialtheater, stattfinden sollen, doch das wurde seit zehn Jahren restauriert. »Daran sind die Amerikaner mit ihrer Blockade schuld!«, erklärte der Ansager von der Partei. Pedro spähte durch den Vorhang in den Saal, konnte Maria jedoch nicht sehen. Vielleicht war sie einfach nicht gekommen. Immerhin war er ja kein so guter Schauspieler, dass man ihn unbedingt ein zweites Mal sehen musste.
Es hatte in Pinar den ganzen Morgen geregnet und im Saal hing ein feuchter Dunst, dass man sich fühlte wie in einer Sauna.
Er ließ das Ei fallen und verhaspelte sich bereits beim ersten
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