Liebe und Tod in Havanna
mehr ertragen, das zwar sehr schön war, mit dem man jedoch Tag und Nacht die Touristen folterte.
Er gab ihnen fünf Dollar.
»Vayan a cantar para mi hijo!«
Sie zogen ab, um nun Jo und der schönen Indianerin das Lied von Che Guevara vorzusingen.
Pedro dachte oft an den Che. Warum hatte er Kuba verlassen? Warum hatte er so plötzlich alles aufgegeben, von einem Tag auf den anderen?
Pedro hatte im Revolutionsmuseum die Abschiedsrede des großen Freiheitskämpfers gehört. Diese Stimme mit dem starken argentinischen Akzent, die mit Fidel sprach wie mit einem Klassenkameraden: »Leb wohl, Fidel! Das Einzige, worum ich das kubanische Volk bitte, ist, dass es meine Kinder gut erzieht.«
Er hatte das Tagebuch gelesen, das der Che in Bolivien geführt hatte. Das diesen pathetischen Kreuzweg eines geschwächten, asthmagebeutelten Mannes beschrieb, der mit einer Handvoll Anhängern in den sicheren Tod ging.
Jeden Monat, nachdem er tagtäglich alle Vorfälle bei der Guerilla schriftlich festgehalten hatte, verfasste der Che ein »resumen del mes«.
Und jeden Monat kehrte bohrend dieselbe Klage wieder: »Keinen Kontakt zu Havanna, keinerlei Kontakt zu Kuba.«
Seltsames Land, dachte Pedro, der noch einen hellen Rum bestellt hatte. Seltsames Volk! So liebenswürdig und so hart zugleich. Und dann beschleicht einen das seltsame Gefühl, dass sie einen beim kleinsten Streit auf der Stelle umlegen und ins Meer werfen würden.
An jenem Abend, auf dem großen Platz von Matanzas, wäre Pedro gern schwarz gewesen. Und er hätte sich gern zu Hause gefühlt.
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So langsam erhole ich mich, ich werde wieder zum Arschloch, dachte Jo, während die schöne Indianerin duschte.
Er holte ein kleines Tütchen Koks aus seiner Tasche und legte sich eine Linie.
Immer diese Klischees, dachte er. Wie im Krimi … Ein Zimmer in einem Kolonialhotel, tropische Hitze, ein sich träge drehender Deckenventilator … Der obligatorische Rum danach auf der Terrasse, eine Linie Koks und nebenan die schöne Indianerin mit großen Brüsten, die mit den Kakerlaken duscht …
Jo, der noch nie in seinem Leben einen Joint angefässt hatte und eher zurückhaltend trank, hatte nach Nieves Tod zu koksen angefangen.
Nach der Tragödie hatte er Mamita oft besucht. Beinah jede Woche. Sie machte ihm Abendessen, das er, Reglita auf dem Schoß, vor dem Fernseher zu sich nahm, in dem die Abendserie lief.
Dann, wie in einem Ritual, leerten sie die Flasche Rum, die Jo mitgebracht hatte, und die Alte besprenkelte weinend die Reliquien auf dem Altar.
Doch diese Besuche stürzten Jo in einen tiefen Abgrund der Melancholie. Er fühlte sich wie einer jener Witwer, die auf Friedhöfen umherirren und nicht wahrhaben wollen, dass sie fortan allein weiterleben müssen. Die vor dem Grab der geliebten Frau hin und her schleichen, um sich davon zu überzeugen, dass es nicht nur ein böser Traum ist, dass sie wirklich tot ist und nie mehr zurückkehren wird.
Wenn Mamita den Altar mit Rum beträufelte, sprach sie mit ihrer Tochter: »Weißt du noch, Nievita, wie er dir das rote Seidenkleid gekauft hat, und die Schuhe? … Und wie du eines Tages dachtest, dass du schwanger wärest? Und weißt du noch, wie ich dich einmal auf die Schüssel mit eiskaltem Wasser setzen musste?«
Es war wie eine Litanei. Und schon bald konnte Jo diese Gedenkabende nicht mehr ertragen.
So wurden seine Besuche bei Mamita immer seltener, und wenn er kam, zog er es vor, sie und die Kleine mit ins Restaurant zu nehmen.
Dort gab es wenigstens keinen Altar mit Zöpfen, Zigarrenstummeln und Socken.
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Als die Indianerin aus dem Bad kam, schlief Jo, die Hände zu Fäusten geballt.
Um ihn zu wecken, presste sie ihre Brüste in die Mulde über seinem Po und fing an, ihm den Rücken abzulecken.
Und da war Jo zum ersten Mal in seinem Leben einer Frau gegenüber unhöflich. Er stieß die Indianerin von sich und sagte energisch: »Hau ab!«, und schlief sofort wieder ein.
Die Linie Koks lag immer noch auf der Kommode.
Gegen fünf Uhr morgens wachte Jo auf. Er war schweißgebadet. Er duschte, trat dann nackt ans Fenster und stützte sich mit den Ellbogen auf die Brüstung.
Der Platz unten war leer. Einzig das Rauschen der Palmen vermittelte den Eindruck von Frische, wenn auch nur rein suggestiv, denn die Luft war schwer und feucht. Er musste an den Balkon des Hotel Crillon denken und an die Frau mit dem schwarzen Schal, die im Regen über die
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