Liebe und Tod in Havanna
Gedicht. Eigentlich empfand Pedro tiefste Verachtung für den Beruf des Schauspielers, ein Metier für Egozentriker und Narzissten, die sich für den Mittelpunkt der Welt halten.
Pedro war das genaue Gegenteil. Er liebte es, die Leute zu beobachten. Und je weiter er in seinem Repertoire kam, umso mehr wurde er von Melancholie erfasst.
Es war seine letzte Vorstellung in Kuba. Vielleicht, so sagte er sich, war es überhaupt das letzte Mal, dass er eine Bühne betrat.
Sein Abschied von den Brettern, die die Welt bedeuteten, fand also gewissermaßen in diesem schwülen Saal statt. Er schwitzte mächtig und seine Hände waren so feucht, dass ihm während des letztes Gedichts die Rose entglitt. Er stieg in den Saal hinunter und schritt langsam den Mittelgang entlang. Der Schweiß lief ihm in die Augen. Er wollte gerade seinen Klassiker, Ungeheuer und rot, in Angriff nehmen, als im Saal Unruhe aufkam.
Pedro bemerkte, dass niemand mehr auf ihn achtete. Erwartung lag in der Luft. Alle Blicke hatten sich auf die Bühne gerichtet. Also drehte auch er sich um. Und entdeckte Maria.
Sie war weiß gekleidet und hielt den großen Strauß verwelkter Rosen im Arm. Um sie geschart, einfache Sträuße aus Feldblumen in der Hand, ihre fünf Kinder, auch sie in Weiß. Im Chor begannen sie, ein Gedicht vorzutragen:
»Was machst du da mein kleines Mädchen
Mit den Blumen die du frisch geschnitten
Was machst du da mein junges Mädchen
Mit den Blumen die um Wasser bitten
Was machst du hübsches Weib
Mit den Blumen deren Kraft verrinnt
Was machst du alte Frau
Mit den Blumen die am Sterben sind
Ich warte auf den Sieger der mich nimmt.«
Pedro war wieder auf die Bühne gestiegen und küsste die Kinder. Das Publikum applaudierte stürmisch.
Maria bat um Ruhe.
»Compañeras, compañeros. Das war heute Nachmittag die letzte Vorstellung unseres französischen Dichters, des Genossen Pedro. Mit diesem kleinen Gedicht wollten wir ihm danken, damit er die Erinnerung an ein Volk, das trotz aller Schwierigkeiten nie die Poesie vergisst, mit in sein Land nimmt.«
Und sie trat auf Pedro zu und überreichte ihm die verblühten Rosen.
»Diese Rosen sind schon ein wenig verblüht, Pedro, aber sie kommen von Herzen!«
––– ¤ –––
Alle zusammen fuhren sie in Raúls Lastwagen nach Hause. Hinten auf der Ladefläche lachten Maria, Pedro und die Kinder; Raúl saß allein in der Fahrerkabine.
»Wir haben ein Picknick vorbereitet. Bleib doch zum Essen, Raúl!«, schlug Maria vor.
Doch Raúl lehnte ab und fuhr davon.
Im Patio der Schule hatte man die Pulte aneinandergeschoben. Als Tischdecken dienten Bettlaken. Auf einem Feuer in einer Ecke brutzelten Würstchen.
Die Eltern aller fünf Kinder waren gekommen, fünf bescheidene Bauernfamilien. Unter Gelächter machten sich alle eifrig zu schaffen. In einem Eimer mit kaltem Wasser warteten die Rumflaschen darauf, dass das Fest eröffnet wurde.
Es war mehr ein Bankett als ein Picknick. Jede Familie hatte etwas beigetragen. Auf chatinos folgten tamales, dann chicherones. Nach den Würstchen gab es Spanferkel und gegrillte Hühnchen mit arroz congris.
Im Gegensatz zur Stadt, wo man für ein mageres Stück Fleisch stundenlang Schlange stehen musste, fehlte es auf dem Land nicht an Nahrung. Zu dem liefen die Tiere frei am Straßenrand herum, was bewies, dass es hier keine Hühnerdiebe gab.
Woran es dagegen mangelte, war alles andere: Brennspiritus zum Kochen, Öl, Seife, Papier.
Nach dem Essen sang ein alter Mann einen Klassiker von Bola de Nieve und begleitete sich dazu selbst auf der Gitarre.
»Si me pudieras querer
Como te estoy queriendo yo
si no me fuera traidora la luz de tu amor
yo no sé si existiera por ti solo mi querer
yo no sé que seria la vida sin tí
Pero no quiero pensar
que nunca me podras amar
porque la vida no quiere
y nada más
Deja que dios o que el destino quiera
y entonces la vida también lo querra.«
Nachdem er das Lied beendet hatte, erhob er sich feierlich, trat auf Pedro zu, lüftete seinen alten Strohhut und sagte: »Pedro, compañero! Wir wissen, dass du nicht von hier bist. Deine Familie, deine Freunde leben am anderen Ende der Welt. Aber du sollst wissen, dass du an diesem verlorenen Flecken Kubas, in unserem Tal von La Palma, zu Hause bist und jeden von uns als deinen Bruder betrachten kannst. Zögere nicht, in unsere bescheidenen Häuser zu kommen, zögere nicht, uns zu rufen, wenn du uns brauchst. Und sei vor allem gut zu
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