Liebe und Vergeltung
erleichtert aus, sprang vom Sessel auf und lief zu Benjamin Slade. „Miss Elizabeth Weldon ist verschwunden“, fügte sie hinzu und schlang die Arme um ihn. „Wir befürchten, daß sie zu Mrs. Bancroft entführt wurde. Ihre Gattin wollte Sie sprechen, Sir, doch da Sie nicht daheim waren, ist sie mit Kuram und zwei Leibwächtern ins Hafenviertel gefahren und will Miss Elizabeth auslösen.“
„Verdammt!“ fluchte Michael. „Wie ist das passiert?“
Hastig schilderte Jenny den Herren die Ereignisse.
„Wie lange ist meine Gattin jetzt fort?“ erkundigte Michael
sich besorgt.
Jenny blickte zur Standuhr. „Etwa eine Stunde, Sir.“
„Ich mache mich sofort auf den Weg“, beschloß Michael. „Ich werde reiten, das geht schneller.“
„Sir, ich gebe Ihnen zu bedenken, daß man Sie bei Mrs. Bancroft erkennen wird“, warnte Benjamin Slade. „Weldon wollte offenbar Jenny in seine Gewalt bringen und rechnet vermutlich damit, daß Sie erneut versuchen könnten, sie zu retten. Sicher hat er seine Komplizen angewiesen, ganz besonders wachsam zu sein. Sie kommen vielleicht ins Haus, aber bestimmt nicht heraus.“
„Sie haben nicht unrecht, Benjamin“, stimmte Michael nachdenklich zu. „Gut, ich werde Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Die beiden anderen Leibwächter sollen mir in einer Kutsche folgen. Falls meine Gattin und ich am Verlassen des Etablissements gehindert werden, müssen sie sich mit Gewalt Zugang verschaffen und uns befreien.“ Michael schaute Jane Miller an und sagte unbehaglich: „Es widerstrebt mir, dich darum zu bitten, Jenny, aber es wäre besser, wenn du mitfahrst und dem Kutscher den Weg zu Mrs. Bancroft weist.“ „Selbstverständlich, Sir“, willigte Jenny sofort ein. „Das ist mir lieber, als hier untätig herumzusitzen und angstvoll darauf zu warten, was passiert.“
„Dann begleite ich dich“, sagte Benjamin entschlossen und freute sich, als sie ihm einen dankbaren Blick zuwarf. „Mrs. Bancrofts Haus wird ohnehin in Kürze geschlossen werden. Wir kommen soeben von der Polizei und haben einen Haftbefehl gegen Sir Charles erwirkt.“
„Endlich!“ sagte Jenny erleichtert. „Doch was wird dann aus den Mädchen, die bei Mrs. Bancroft festgehalten werden?“ wandte sie sich an Prinz Balagrini. „Niemand würde sich um sie kümmern. Können wir ihnen nicht vorher zur Freiheit verhelfen? Einige von ihnen waren mit mir befreundet, und ich möchte ihnen irgendwie beistehen. Außerdem wären sie gute Zeuginnen, Sir!“
Sara hatte ihm vorgeworfen, daß ihm das Schicksal Unbeteiligter gleichgültig wäre. Vielleicht war das eine Gelegenheit, Versäumtes gutzumachen. „Es wird sich zeigen, ob wir sie fortschaffen können“, erwiderte Michael. „Versuchen will ich es. Ich werde gleich mit den Wächtern sprechen und sie über unsere Absichten informieren.“ Er drehte sich um, nahm das silberne Glöckchen vom hinter ihm stehenden Konsoltisch und läutete. „Sorgen Sie dafür, Garnett, daß unverzüglich eine Kutsche vorfährt und mir ein Pferd gesattelt wird“, trug er dem herbeieilenden Butler auf, nickte Benjamin und Jenny zu und begab sich rasch in sein Arbeitszimmer.
Er öffnete den Kabinettschrank, holte den Pistolenkasten heraus und entnahm ihm eine der kurzläufigen Waffen. Er versteckte sie in der Manteltasche, lief zu den Stallungen und ritt nur wenige Minuten später mit verhängten Zügeln zu Mrs. Bancrofts Haus.
Was immer dort geschehen würde, das Wichtigste war, Sara vor Schaden zu bewahren.
Die leise Hoffnung, Sara vorzufinden, erlosch sofort, nachdem Charles sie beschrieben hatte und Mrs. Bancroft kopfschüttelnd antwortete: „Nein, Sir, die Kleine dort oben ist höchstens elf oder zwölf Jahre alt, keineswegs über zwanzig.“
„Schade“, murmelte Charles enttäuscht. „Und wie sieht das Kind aus? Ist es hübsch?“
„Sehr!“ stimmte Mrs. Bancroft lächelnd zu. „Sie hat lange blonde Haare, wie ein Engelchen, und könnte uns eine gute Stange Geld einbringen. Sie wäre der ideale Ersatz für Jennifer. Ich bin sicher, nach der richtigen Einweisung kann sie noch einige Zeit die Unberührte spielen.“
„Gut, dann behalten wir sie hier“, erwiderte Charles. „Wo ist sie? Einer muß ja der erste sein. Warum sollte ich mir das Vergnügen nicht gönnen?“
„Hm, ich habe sie bereits einem anderen Gentleman avisiert“, sagte Julia Bancroft unbehaglich. „Er ist ein ausgezeichneter Kunde, Sir, der ganz besonders Blondhaarige schätzt. Je jünger, desto
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