Liebe und Vergeltung
befand.
Lady Batsford ließ die Töchter zu sich rufen und fragte streng: „Hatte Eliza irgendeinen Streich im Sinn? Verschweigt mir nichts, sonst seid ihr für jeden Ärger verantwortlich, den ihr Vater mir machen wird!“
Vicky, Anne und Lucy sahen sich unbehaglich an, ehe Victoria wahrheitsgemäß erklärte: „Nein, Eliza hat uns nichts verraten. Gestern habe ich ihr jedoch erzählt, daß du und ich Lady Sara in der Bond Street begegnet sind, und dann auch erwähnt, daß Lady Sara sich bei ihrem Vater in Haddonfield House aufhält. Eliza hat diese Neuigkeit sehr interessiert.“ „Ja, zu mir hat sie immer gesagt, wie sehr sie Lady Sara Wiedersehen möchte“, warf Anne eifrig ein. „Sie wollte ihr versichern, daß sie nicht böse auf sie wäre, obwohl Onkel Charles es ist.“
Unschlüssig überlegte Heather, wie sie sich verhalten sollte. Bestimmt war Elizabeth fortgelaufen, um Lady Sara zu sehen, die sie stets verehrt hatte. So etwas Unbesonnenes zu tun, sah ihr ähnlich. Heather mochte die Nichte, aber es ließ sich nicht leugnen, daß Eliza gelegentlich recht eigensinnig war. Vermutlich hatte sie Lady Sara davon überzeugt, daß sie mit Wissen der Tante zu ihr gekommen wäre, denn sonst hätte Ihre Hoheit das Kind sicher längst zurückgebracht. Es war anzunehmen, daß die beiden die Zeit verplaudert hatten oder sich in der Stadt aufhielten. Dann war es sicher besser, Charles vorläufig noch nicht zu informieren und zu warten, ob seine Tochter bis zum Dinner zurück war.
Heather war nicht gewillt, sich unnötig seinem Zorn auszusetzen, denn er würde toben, wenn er erfuhr, daß Elizabeth seine frühere Verlobte besucht hatte. Heather verstand zwar, daß sein Stolz verletzt war, billigte aber nicht, daß er Elizabeth jeden Umgang mit Lady Sara verboten hatte.
Um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, sie hätte ihre Pflichten verletzt, beschloß sie, Ihrer Hoheit ein Billett zu schicken und höflich anzufragen, ob Charles’ Tochter sich in Haddonfield House befand, und gegebenenfalls dafür zu sorgen, daß Eliza noch vor dem Abendessen zurückkehrte.
Erschöpft stieg Sara nachmittags vor der Residenz ihres Vaters aus der Kutsche.
Aus dem Bedürfnis, sich zu zerstreuen, füllte sie jeden Augenblick des Tages mit allerlei Beschäftigungen. Aber es fiel ihr schwer, nicht an Michael zu denken und sich so zu benehmen, als wäre nichts vorgefallen. Nun merkte sie, daß sie ihre innere Kraft überschätzt hatte, obwohl sie von Anfang an der Überzeugung gewesen war, eine Trennung von Michael überwinden zu können.
„Einen Augenblick, Eure Hoheit“, sagte Harlow höflich, als sie die Halle betrat. Er ging zu dem Konsoltisch neben dem Portal, nahm aus der Silberschale zwei Billetts und überreichte sie Ihrer Ladyschaft mit einer tiefen Verbeugung. „Eines der Schreiben wurde vor einigen Stunden für Sie abgegeben, Madam.“
„Danke, Harlow“, erwiderte sie, legte Hut, Mantel und Handschuhe ab und suchte ihr Boudoir auf.
Der erste Umschlag trug die Handschrift des Vaters. Sara öffnete das Couvert, zog das Blatt heraus und entfaltete es.
Sara, vorhin war Dein Gatte bei mir und bat darum, Dich
von seinem Besuch in Kenntnis zu setzen. Er möchte, daß
Du Dich noch heute mit ihm in Verbindung bringst, ganz gleich, wann Du heimkehrst. Er hält sich in seinem Haus in der Park Street auf. Sollte er keine Nachricht von Dir erhalten, wird er Dir morgen wieder die Aufwartung machen.
Vater
Sara mußte sich setzen und schloß die Augen. Michael wollte sie sprechen. Hoffentlich war ihm ebenso an einer Versöhnung gelegen wie ihr. Wenn er sich um Einsicht bemühte, ließ die entstandene Kluft sich gewiß überbrücken. Sara erwartete ja nur von ihm, daß er in Zukunft Rücksicht auf Unbeteiligte nahm, die sonst unter seiner Rachsucht leiden mußten, und vor allem die furchtbare Absicht fallen ließ, Charles umzubringen. Aber wahrscheinlich war das zuviel verlangt von jemandem, der nur für seine Rache lebte.
„Ist etwas nicht in Ordnung, Madam?“
Sie schlug die Lider auf und sah, daß Jenny in den Salon gekommen war. „Nein“, antwortete sie, faltete das Billett des Vaters zusammen und schob es in den Umschlag. Dann riß sie das zweite Couvert auf und mußte den Inhalt zweimal lesen, bis der Sinn ihr klar wurde. „Merkwürdig“, sagte sie verwundert. „Lady Batsford fragt an, ob Elizabeth, Sir Charles Weldons Tochter, bei mir sei. Offenbar ist Eliza bei ihrer Tante zu Gast und im ganzen Hause nicht
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