Liebe und Vergeltung
den Anstand besitzen würde zu leugnen, daß Freudenhäuser ihm bekannt seien, und den Namen eines Bekannten nennen würde. Doch plötzlich erschien ein gieriger, lüsterner Glanz in den Augen des Feindes. Offenbar überlegte er, welchen Nutzen es ihm brachte, dem reichen Investor eine derartige Gefälligkeit zu erweisen.
„Ich würde es mir zur Ehre anrechnen, Hoheit“, sagte Sir Charles lächelnd, „Sie in die Geheimnisse unserer besten Etablissements einzuweihen. London hat alles zu bieten, wonach einem Mann der Sinn stehen könnte, von den billigsten Straßendirnen bis hin zu den raffiniertesten und ausgefallensten Amüsements.“
Innerlich atmete Mikahl auf. Weldon hatte den Köder geschluckt. „Ich bin neugierig zu sehen“, erwiderte er ruhig, „ob das, was London zu offerieren vermag, den Geschmack eines Mannes befriedigen kann, der alle Wonnen orientalischer Nächte ausgekostet hat.“
Sir Charles’ Blick wurde kühl, der Baronet war verstimmt über die Andeutung, London könnte nur zweitrangige Lustbarkeiten bieten. „Ich bin sicher, Sir“, entgegnete er in aufgesetzt höflichem Ton, „daß wir hier den Freuden des Orients in nichts nachstehen. Für den entsprechenden Preis kann man alles bekommen. Alles! Noch ehe die Nacht vorüber ist, werden Sie mir zustimmen.“
Die Herren löschten die Zigarren, verließen den City of London Club und begaben sich zu Weldons Kutsche. Es war ein unauffälliger schwarzer Wagen, der kein Wappen trug.
Nachdem sie eingestiegen waren und das Fahrzeug durch die dunklen Straßen rollte, zog Sir Charles ein Journal aus der Kutschenablage und reichte es Prinz Balagrini. „Sie sollten einen Blick hineinwerfen, Sir“, sagte er und grinste anzüglich. „Für uns Männer ist gewerbliche Zuhälterei verboten. Daher werden Freudenhäuser zumeist von Frauen geführt.“
Mikahl schlug das „Exquisite“ genannte Heft auf und stellte fest, daß es die Beschreibungen feiler Weiber enthielt. Er überflog die Seiten, gab es Weldon zurück und murmelte: „Interessant!“
„Ja, dieses Blatt führt nur die besseren der käuflichen Mädchen auf und wird regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht. Sie werden vielleicht bemerkt haben, daß es auch eine Auflistung der Schenken enthält, wo die Hetären ihrem Gewerbe nachgehen. Billige Schlampen haben dort keinen Zutritt. Das beste dieser Wirtshäuser ist in der Prince Street und gehört Kate Hamilton. Heute nacht werde ich Sie jedoch zu Etablissements bringen, wo man reizvollere Vergnügungen findet.“
„Zu freundlich, Sir“, erwiderte Mikahl. Der Abend versprach, höchst aufschlußreich zu werden.
Im ersten der besuchten Bordelle erhielt Prinz Balagrini Gelegenheit, durch schmale, hinter einem Brokatvorhang versteckte Scheiben die Mädchen zu betrachten. Sie trugen durchsichtige Batistgewänder, und einige von ihnen waren als Gouvernanten, Mägde oder Haremsdamen verkleidet. Madame de Maintenon, die Leiterin des Hauses, erklärte unaufgefordert, manche der Klienten wüßten solche Kostümierungen besonders zu schätzen. Unter dem Vorwand, keine ihm genehme Schönheit zu sehen, verließ Mikahl mit dem Baronet den luxuriös ausgestatteten Empfangssalon und kehrte zur Kutsche zurück.
„Sie sind nicht leicht zufriedenzustellen, nicht wahr?“ fragte Sir Charles auf dem Weg zum nächsten Etablissement. „Gut, dann werde ich Sie mit ausgefalleneren Dingen bekannt machen. Wie wäre es mit Knaben?“
Mikahl hatte damit gerechnet, daß Weldon etwas Derartiges vorschlagen würde, ballte aber dennoch vor Zorn die Hände und war froh, daß der Baronet es in der Dunkelheit des Wageninneren nicht sehen konnte. „Das ist nicht mein Geschmack“, antwortete er, um einen ruhigen Ton bemüht. „Aber es könnte nützlich sein, eine solche Örtlichkeit kennenzulernen.“
Vorher begab man sich in zwei weitere Dirnenhäuser, und in beiden wurde Sir Charles wie ein guter Bekannter begrüßt. Geschmeichelt erklärte er, den Begleiter nur für zukünftige Besuche mit den Gegebenheiten vertraut zu machen, verabschiedete sich freundlich und reichte Seiner Hoheit nach dem Besuch des zweiten Bordelles eine schwarze Halbmaske. „Wahren Sie das Inkognito, Sir“, riet er dem Prinzen und setzte ebenfalls eine Maske auf.
Mikahl war von der Atmosphäre in dem schwülstig und überladen eingerichteten Haus angewidert, und es kostete ihn Anstrengung, den Ekel nicht zu zeigen. Die Wände waren mit rotem Damast bespannt, und überall prangten
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