Liebe und Vergeltung
nächsten Moment beugte er sich tief auf den Hals des Pferdes, preßte dem Schimmel die Fersen in die Flanken und preschte unter den verblüfften Blicken des Besitzers, der Stallknechte und der anwesenden Kunden vom Hof.
Da Sara das impulsive Verhalten des Prinzen kannte, war sie nicht so überrascht wie die anderen. Dennoch war ihr bei dem Gedanken, Seiner Hoheit könnte etwas zustoßen, sehr unbehaglich zumute.
„Die Augen sagen mir, daß du es bist, Sara, aber der Verstand weigert sich, es zu glauben.“
Sich umdrehend, sah sie Sir Wilfred Whiteman auf sich zukommen. „Du kannst deinen Augen trauen“, erwiderte sie und reichte ihm die Hand zum Kuß. „Wie geht es dir?“ „Ausgezeichnet, liebe Cousine.“ Der Baronet verneigte sich. „Wer ist dein temperamentvoller Begleiter?“
„Mikahl, Prinz Balagrini von Kafiristan“, antwortete sie lächelnd. „Einer von Alastairs Freunden. Er sitzt vorzüglich zu Pferde, nicht wahr?“
„In der Tat!“ stimmte Sir Wilfred zu und nickte anerkennend.
Sara merkte, Seine Hoheit hatte das Richtige getan, um sofort in aller Munde zu sein. Sein sportliches Benehmen mußte Männer wie ihren entfernten Cousin beeindrucken, auch wenn sie durch die Spontaneität des Prinzen im ersten
Moment sicher befremdet waren. Aber Wilfred zollte ihm Respekt und würde gewiß mit seinen Freunden über den tollkühnen Fremden reden.
Es dauerte eine Weile, bis Prinz Balagrini zurückkam, und in dieser Zeit berichtete Sir Wilfred seiner Cousine den neuesten Gesellschaftsklatsch. Als Seine Hoheit in den Hof ritt, verabschiedete sich der Baronet und schlenderte zu einigen Herren aus seinem Bekanntenkreis.
„Ein fabelhaftes Pferd!“ stellte Mikahl begeistert fest und hielt den Hengst neben Mr. Tattersall an. „Was verlangen Sie für ihn, wenn Sie ihn vor der Auktion verkaufen?“
Das wellige schwarze Haar vom Ritt zerzaust, einen leuchtenden Ausdruck in den Augen und ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, erinnerte der Prinz jetzt eher an einen ungezähmten, freiheitsliebenden Wilden denn einen eleganten Mann von Welt.
Der Besitzer der Reitbahn schaute ihn scharf an und schien zu überlegen, wieviel Seine Hoheit zu zahlen bereit sein mochte. „Tausend Guineen“, antwortete er fest.
„Einverstanden.“
Sara mußte sich ein Lächeln verkneifen. Mr. Tattersalls Miene war deutlich anzusehen, daß er bedauerte, keine höhere Summe verlangt zu haben. Aber sie überstieg mit Sicherheit den Betrag, den er bei der Auktion für den Schimmel erlöst hätte.
Prinz Balagrini ritt zu Lady Sara, schwang sich vom Pferd und sagte, die Hand ausstreckend: „Sie müssen selbst erleben, welch wunderbaren Gang dieser Hengst hat. Kommen Sie, ich nehme Sie auf einen Ausritt mit!“
Sie spürte, daß ihr das Blut aus den Wangen wich, und verstört schaute sie den Prinzen an. Am liebsten hätte sie die Flucht ergriffen. Er hatte keine Ahnung, wie unschicklich sein Ansinnen war. Plötzlich merkte sie an seinem Blick, daß er den wahren Grund ihres Zögerns erkannt hatte, und ärgerte sich.
„Vertrauen Sie mir“, sagte er leise.
Ehe sie sich recht bewußt wurde, was sie tat, war sie einen Schritt auf ihn zugegangen.
Er nahm sie bei der Taille, hob sie mühelos hoch und setzte sie seitlich auf den Schimmel. Dann saß er wieder auf, ergriff
die Zügel und lenkte das Roß vom Hof.
Wie erstarrt sah Sara den Verkehr an sich vorüberziehen und hoffte, keinem Bekannten zu begegnen. Bange Minuten verstrichen, bis der Prinz in den zu dieser Stunde noch nicht sehr frequentierten Park einbog. Auf der Rotten Row ließ er den Hengst in einen leichten Trab fallen, und vor Angst klopfte Sara das Herz bis zum Hals. Der ausgeglichene Gang des Schimmels nahm ihr jedoch nach einer Weile die Furcht, und sie entspannte sich mehr und mehr. Erinnerungen stürmten auf sie ein, an die Zeit, da sie noch geritten war, an das Vergnügen, das sie stets dabei empfunden hatte, und langsam gewann sie die Selbstsicherheit zurück.
„Fühlen Sie sich wohl?“ fragte Seine Hoheit besorgt.
„Ja“, antwortete sie leise.
„Seit dem Unfall haben Sie nicht mehr auf einem Pferd gesessen, nicht wahr?“
„Nein. Es heißt zwar immer, nach einem Sturz solle man so schnell wie möglich wieder reiten, doch in all den Jahren konnte ich mich nicht dazu überwinden. Ich weiß, ich bin ein Feigling.“
„Ganz und gar nicht!“ widersprach der Prinz mit Nachdruck. „Sie sind sehr mutig. Nicht nur, daß Sie die Angst vor einem
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