Liebe und Verrat - 2
betrachte sie beide und habe den Eindruck, als suchte ich nach etwas – nach etwas anderem als den fehlenden Seiten.
Aber ich habe keine Gelegenheit, diesem Gedanken nachzusinnen, denn schon bald gibt Edmund wieder das Signal zum Aufbruch. Wir sitzen auf und reiten weiter, tiefer in den Wald hinein.
»Lia? Glaubst du, Luisa geht es gut?«
Nach einem langen Tag im Sattel haben wir endlich unser Nachtlager aufgeschlagen und Sonias Stimme dringt von ihrer Seite des Zeltes zu mir. Luisa sitzt immer noch am Lagerfeuer, zumindest war das so, als Sonia und ich beschlossen, uns zurückzuziehen.
Ich denke an das Gespräch mit Luisa heute Morgen und ich bin nicht sicher, ob sie damit einverstanden wäre, wenn ich Sonia von ihrer Eifersucht erzählen würde. »Warum fragst du?«
Ich höre an ihrer Stimme, dass sie die Stirn runzelt. Sie wählt ihre Worte sorgfältig. »Es kommt mir so vor, als ob sie über etwas nachgrübelt. Fühlst du das nicht auch?«
Ich zögere und suche nach einer Möglichkeit, Luisas Vertrauen nicht zu missbrauchen. »Vielleicht, aber wir waren den ganzen Tag im Sattel, und es ist ziemlich schwer, sich beim Reiten zu unterhalten, besonders bei diesem entsetzlichen Nebel. Und außerdem …«
»Ja?«
»Nun, du und ich waren fast ein Jahr lang beisammen, Sonia. Meinst du nicht, dass Luisa sich vielleicht ein bisschen ausgeschlossen vorkommt?«
Sonia schweigt in der Dunkelheit. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie an ihrer Lippe kaut. Das tut sie immer, wenn sie über eine wichtige Frage nachdenkt. »Du hast wahrscheinlich recht. Aber trotzdem frage ich mich, ob das wirklich alles ist.«
»Was sollte sonst noch sein?«
Sonia dreht sich auf den Rücken und jetzt kann ich sie im Dämmerlicht des Zeltes erkennen. Sie schaut zum Zeltdach und dann zu mir. »Du meinst nicht, dass … nun …«
»Was? Was denn?«
Sie seufzt schwer. »Ich musste nur daran denken, dass Miss Virginia einmal sagte, die Seelen würden vor gar nichts haltmachen, um uns zu entzweien.«
Sie muss nicht weitersprechen. Ich weiß, was sie sagen will. »Sonia.« Ich spreche ihren Namen langsam, um Zeit zu gewinnen. »Ich weiß, dass die Seelen überall sind. Das weiß ich wirklich. Aber wir dürfen nicht zu viel in eine trübe Laune hineininterpretieren, durch nichts weiter hervorgerufen als durch diesen grauen Nebeltag.«
Ihre Augen halten mich fest.
»In Ordnung?«, frage ich.
Sie nickt. »In Ordnung, Lia.«
Irgendwann später, lange nachdem Sonia eingeschlafen ist, kommt Luisa ins Zelt. Sie bewegt sich leise und huscht fast lautlos unter ihre Decken. Es wäre so einfach, ihr die Fragen zu stellen, die Sonias Worte in mir heraufbeschworen haben, aber ich sage nichts. Ich will dem Verdacht meiner Freundin keine Glaubwürdigkeit verleihen, indem ich ihn laut ausspreche.
»Wir werden heute die Grenze überschreiten.« Edmund gibt uns diese Erklärung mit ruhiger Stimme vom Rücken seines Pferdes aus, als wir aufbrechen.
»Und was für eine Grenze ist das?«, fragt Luisa.
Edmund starrt in den Nebel, der immer noch so undurchlässig ist wie der Umhang, der um meine Schultern liegt. »Die Grenze zwischen unserer Welt und den Anderswelten. Hinein in die Welt, in der sich Altus befindet.«
Ich nicke, als ob ich genau wüsste, wovon er redet. Dabei weiß ich gar nichts, aber ich bin weit davon entfernt, seine Worte als Fantasterei abzutun, denn auch ich habe eine Veränderung in der Luft wahrgenommen. Ich habe es gefühlt, während wir immer weiter in den Wald hineinritten. Ich habe es gefühlt, als ich aus meinem tiefen Schlaf erwachte, immer noch die Geräusche der unheimlichen, vielfüßigen Kreaturen in den Ohren, die des Nachts in meinen Träumen herumschlichen. Und ich fühle es jetzt, genauso wie Edmund, der wieder einmal in das Dickicht des Waldes vorausreitet.
Während der Tag voranschreitet, unternimmt Sonia nervöse Konversationsversuche, während Luisa zumeist schweigt. Edmund entdeckt endlich einen Platz, wo wir am Mittag Rast machen und unsere Wasserflaschen füllen können. Wie üblich kümmert er sich um die Pferde, während ich die Zutaten für ein schnelles Mahl aus dem Gepäck hole. Wir verspeisen gerade in einträchtigem Schweigen unser Mittagessen, als ich es höre. Nein, das stimmt nicht ganz. Ich glaube , es zu hören, aber es ist mehr ein Gefühl, eine geflüsterte Eingebung, dass etwas sich nähert. Anfangs halte ich es für pure Einbildung.
Aber dann schaue ich mich um.
Edmund, still wie eine
Weitere Kostenlose Bücher