Liebe und Völkermord
Bisweilen war er wieder mutig. Zwar wollte er auf glorreiche Art sterben, doch hier unten war er auf einer wichtigen Mission, und der Tod auf dieser Mission würde ihn ebenfalls ehren, dachte er.
Es ging erst einmal 20 Meter hinunter. Mithilfe eines Seiles stiegen sie hinab. Skandar und der Abt hielten das Seil. Als sie unten waren, ließen sie es herab und Hanna trug es mit sich.
Als sie unten auf festem Boden standen, führte eine Abzweigung nach rechts. Ab da an schlichen sie sich geradeaus weiter. Sie sprachen nicht zueinander und atmeten leise.
Plötzlich hörten sie das Planschen von Wassertropfen. Sie hielten kurz inne. Offensichtlich befand sich eine Höhle in unmittelbarer Nähe von ihnen.
Matthias tappte mit seiner rechten Hand um sich, immer noch standen die Mauern rechts und links von ihm genauso wie am Startpunkt. Der Weg war nicht einmal einen Meter breit und bis zur Decke waren es gerade einmal eineinhalb Meter. Isa und seine beiden Neffen Danho und Hanna gingen abwechselnd geduckt und auf Knien. Skandar war zurückgeblieben. Philoxenos hielt es nicht für richtig, so viele Männer fortzuschicken. Im Falle eines Überraschungsangriffs der Moslems würden sie jeden einzelnen Mann brauchen.
Die Luft war dünn. Sie schwitzten aus allen Poren.
Es roch nach Erde, wie die schwarze Erde, welche man vom Boden schaufeln und an ihr riechen konnte.
Stundenlang schritten sie voran. Matthias wurde müde. Als seine Beine schlapp wurden, munterte er sich selbst auf und zwang sich, weiterzugehen. Isa hingegen schien nicht im Geringsten müde zu werden. Danho und Hanna verdrückten durch ihr unterdrücktes Stöhnen ihre allmählich größer werdende Müdigkeit.
Schließlich gelangten sie in eine Sackgasse. Der Weg war zu. Es ging ab da an nur noch nach oben. Hier war nun der Weg breiter. Danho faltete seine Hände ineinander. Er machte eine Räuberleiter für Hanna. Hanna legte seinen rechten Fuß auf die Stütze der Hände des Danho, stützte sich mit beiden Händen an den Seitenwänden ab und hob sich nach oben. Sein Kopf prallte auf das Holzbrett. Er stöhnte auf. Dann drückte er mit seiner rechten Hand gegen das Brett. Es öffnete sich, doch Danho schwächelte und ließ ihn herunter. Isa bat seinen Neffen, zur Seite zu treten, und machte die Räuberleiter für Hanna. Seine Hände hielten stand und Hanna schaffte es, das Brett wegzudrücken, es fiel auf die andere Seite. Das Licht von der Oberfläche schien auf sie herab. Sie schlossen für einen kurzen Moment ihre Augen, bis sie sich an das Licht wieder gewohnt hatten.
Isa hob Hanna noch weiter nach oben. Er lugte aus dem Loch. Er sah vor sich Sand, Sträucher und einen Landweg. Dann drehte er seinen Kopf um und sah einen Hügel. Keinen Menschen sah er. Er legte seine Arme hoch und schob seinen Körper nach oben. Isa gab Danho das Seil. Er machte eine Räuberleiter für Danho. Als Danho oben angelangte, zogen Hanna und er Isa und Matthias mit dem Seil hoch.
Sie schauten sich um. Kein Mensch war in der Nähe.
Isa ging zum Landweg. Er schaute nach Norden, dann nach Süden. Dann kam er wieder zurück zu den drei Männern. „Ich glaube, wir sind in der Nähe des Jesidendorfes. Es müsste im Norden sein, nicht weit von hier. Kommt mit mir.“
Sie folgten ihm zum Landweg und schritten hintereinander in Richtung Norden.
Nach einer halben Stunde erblickten sie es endlich. Es war inzwischen früh morgens, sie waren die ganze Nacht lang im Tunnel unterwegs gewesen.
Isa und seine Neffen blieben hinter einem Dattelbaum am Rand des Landweges versteckt und ließen Matthias allein das Dorf betreten und erkunden. Er schlenderte in Richtung des Dorfes. Es war ruhig, er hörte keine Menschenstimmen. Sein Gespür sagte ihm, er solle gleich am ersten Haus links von ihm anklopfen.
Ein alter Mann mit einem Buckel auf dem Rücken öffnete ihm die Tür und stellte sich als Saffar vor. Er war ein Mhalmojo, – jener Mann hatte Barsaumo geholfen – der einzige im Dorf.
Er führte ihn durch die Gassen des Dorfes, bis hin zur Mitte. Auf der rechten Seite befand sich das Haus des Bürgermeisters. Er stand auf dem Dach seines Hauses. Als er sie erblickte, eilte er herunter und kam auf sie zu. Saffar versicherte Matthias, er solle keine Angst haben, die Jesiden dieses Dorfes seien den Christen wohlgesinnt und die Türken hätten bis jetzt noch nicht davon erfahren. Sie waren bescheidene und verschwiegene Menschen. Sie waren fleißige Bauern und Hirten. Da sie Jesiden waren,
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