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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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fester gegen die Matratze. Vergebens versuchte sie, sich von ihm loszureißen. Sie beteuerte, sie habe nie etwas mit diesem Mann gehabt. Er geriet in Rage und schlug sie.
    Als er schließlich zu sich kam und erkannte, was er getan hatte, entschuldigte er sich bei ihr. Er konnte es sich selbst nicht verzeihen, was er diesem armen jungen Mädchen angetan hatte. Er verließ ihr Gemach und legte sich auf die Matte auf dem Boden des Wohnzimmers.
    Warum war er denn nur so aggressiv geworden, fragte er sich. Er heulte, nicht, weil er reuig war, sondern aus Enttäuschung. Seine Ehe mit Aische war doch nicht perfekt. Oder konnte er sich doch nicht mit nur einer Frau begnügen? Seltsamerweise kam ihm gerade Fatima, die vollverschleierte zweite Ehefrau des Agha Bilad in Erinnerung. Er hatte ein nicht löschbares Verlangen in sich, diese Frau kennenzulernen. Ja, mehr noch, er wollte sie für sich gewinnen. War also seine Liebe zu Aische geschwunden?
    Um ihn herum wurde es neblig. Er schwebte auf der Matte. Er lag da wie in Trance.
    Aische konnte die ganze Nacht lang nicht mehr schlafen. Wunden übermalten ihr hübsches Gesicht. Sie weinte. Sie wollte nicht mehr bei diesem Mann bleiben. Ausreißen wollte sie nur noch. Ja, sie wollte ihn töten.
     
    Sein Gesicht war bleich wie noch nie. Sie verbarg ihr Gesicht hinter ihrem Schleier. Er schämte sich, sie anzugucken. „Es tut mir alles leid. Ich kann nicht stark genug betonen, wie es mir leid tut. Ich glaube, es war alles zu viel für mich in letzter Zeit. Erst der Tod des kleinen Jungen, dann die unglaublichen Forderungen des Aghas und jetzt, ich dachte … Ach, ich bin ein Dummkopf. Bitte, vergib mir. Es tut mir leid unendlich.“
    Aische schwieg. Wie eine Statue blieb sie vor ihm stehen.
    Er schwieg. Er suchte nach Worten, fand aber keine.
    Sie kochte, wie jeden Morgen, den Tee für ihn. Nun war der Zeitpunkt gekommen, fasste sie den Entschluss. Er sollte nun sterben. Sie holte die Phiole, in die ihre Mutter das tödliche Gemisch aus Arsen, Wasser und anderen Zutaten geschüttet hatte, und kippte es ins Glas. In wenigen Augenblicken also, da er den Tee trank, würde der Wesir, ihr vom Teufel besessener Ehemann, sterben.
    Sie brachte ihm das Glas, immer noch schämte er sich, ihr in die Augen zu schauen.
    Im Augenblick seines Todes wollte sie nicht anwesend sein. Sie suchte nach einer Ausrede. Gerade als er das Glas anhob, um einen Schluck von ihrem köstlichen Tee in sich hinein zu schlürfen, da sprach sie zu ihm: „Weißt du, es war eine dumme Idee von mir. Bald ist doch Sommer und die Arbeit draußen auf dem Feld ist doch nicht wirklich notwendig. Wir brauchen das Feld nicht. Wir machen es wie bisher, wir kaufen alles vom Basar. Die Arbeiter müssten gleich kommen. Ich werde nach draußen gehen, und es ihnen sagen.“
    Muhammad wollte seine Frau nicht mehr aufregen. Er nickte nur. Sie eilte zur Haustür. Sie blieb vor der Wand des Hauses stehen und hielt inne. In diesem Moment müsste er das Gebräu getrunken haben, dachte sie. Sie atmete tief ein und wieder aus.
    Aus der Ferne kamen Fuad und Barsaumo näher. Sie eilte ihnen entgegen und teilte ihnen mit, sie brauche ihren Dienst nicht mehr, da sich die Umstände geändert hätten. Der alte Fuad nahm die schlechte Nachricht mit Leichtigkeit entgegen. Er machte Kehrt und sagte den Frauen Bescheid.
    Barsaumo fühlte sich verloren. Er brauchte nun eine neue Idee, um irgendwie an Aische heranzukommen.
    Aische freute sich wie an ihrem Geburtstag vor fünf Jahren, als ihr ihr Vater ein prächtiges türkisfarbenes Kleid geschenkt hatte. Ihr Vater war doch ein viel sanftmütiger Mann als dieser Wesir Muhammad Ali. Wann hatte dieser Mann je daran gedacht, ihr einmal eine Kleinigkeit mitzubringen nach seiner langen Abwesenheit zu seinen vielen obskuren Unternehmungen? Wann hatte er ihr überhaupt jemals das Gefühl gegeben, nicht nur ein Objekt der Begierde für ihn zu sein? In der Tat hatte ihr Gemahl nie echtes Interesse an ihr. Nie hatte er sie gefragt, ob sie singen könne. Oder ob sie eine gute Geschichtenerzählerin sei. Ihr Vater war da ein weit vornehmerer Mann.
    Nun war er also tot. Sie überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Sie würde zu ihren Eltern gehen und ihnen von der vermeintlichen Tragödie Kunde tun.
    Mit einem Mal war sie wieder das alte kleine Mädchen ihrer Eltern. Sie tänzelte wie ein Eichhörnchen. Wieder vor der Tür ihres Hauses, schlug sie sie auf und träumte davon, nun in das gemütliche Haus

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