Liebe Unerwuenscht
darüber spricht.
Aha, es war eine Frau, die diese Unordnung in ihr Leben brachte, kein Wort. Sehr beruhigend.
Nein, das ist überhaupt nicht beruhigend. Es ist im Gegenteil sehr, sehr beunruhigend. Denn ich dachte, über diese Phase sei ich hinweg.
Stellte sich jetzt etwa heraus, dass ihre in den letzten Jahren so hart erarbeitete Selbstbeherrschung zu bröckeln begann? Wenn ja, dann lag das sicher daran, dass sie sich in letzter Zeit zu gut, zu sicher fühlte und deshalb ihre Achtsamkeit nachgelassen hatte. Nur deshalb konnten Carolines Worte Nährboden finden.
Du musst einfach wieder einen Gang höher schalten, dann ist die Sache schnell überstanden.
Jennifer atmete tief durch. Ja. Das war es. Kein Grund, an sich zu zweifeln. Eine kleine Krise, nichts weiter. Wer einen Schnupfen unterschätzte, riskierte sich eine Lungenentzündung einzuhandeln. Aber das war jetzt vorbei. Sie hatte den Bazillus erkannt. Nun würde sie ihn abtöten. Kurz und schmerzlos.
Caroline wollte keine erotische Affäre? Gut, dann gab es eben keine. Nicht mit ihr. Es fanden sich jede Menge Frauen, die ein solches Angebot nicht ablehnten. Wie sagte Beatrice so schön? Es gab viele Blüten, zu denen ein Schmetterling fliegen konnte. Warum über eine einzige, nicht erreichbare Blüte traurig sein?
Caroline registrierte erfreut, dass Jennifer Wort hielt. Sie bedrängte sie nicht. Allerdings wirkte sie seit ihrem Strandausflug verändert. Ihre Stimme war zwar dieselbe, aber die Augen blickten anders. Nicht mehr so warm. Diesen Teil der Veränderung bedauerte Caroline. Sie hatte gehofft, Jennifer würde sich mehr öffnen. Doch das Gegenteil schien nun der Fall zu sein.
Was hast du erwartet, Caroline? Dass du sie ändern kannst? Eine Frau von über vierzig. Noch dazu in ihrer Position.
Caroline entschloss sich, das Wochenende zu genießen und die Dinge zu nehmen, wie sie waren.
20.
I m Konferenzraum herrschte Stille. Jennifer ließ ihren Blick über die Anwesenden gleiten. Auf Carolines Gesicht verharrte er kurz. Eine Sekunde, höchstens. Sofort ermahnte Jennifer sich zur Konzentration und straffte ihren Körper.
»Dieser Termin wurde kurzfristig einberufen. Um es vorwegzunehmen, der Anlass ist kein erfreulicher«, begann sie. Trotz unheilschwangerer Ankündigung klang Jennifers Stimme ruhig.
Ihre Zuhörer, die Mitglieder der Krankenhausleitung, sahen Jennifer abwartend an.
»Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen, komme sofort auf den Punkt. Vor einigen Tagen erhielt ich von meinen Finanzexperten die Mitteilung, dass die uns zur Verfügung gestellten Bilanzzahlen des Vorjahres die Haushaltslage des Krankenhauses falsch widerspiegelten. Es steht unwiderlegbar fest: Rechnungen in Höhe von siebenhunderttausend Euro wurden in das neue Geschäftsjahr gezogen. Darüber hinaus, ich weiß nicht, wie das möglich war, aber es ist eine Tatsache, wurde der Dezemberlohn der gesamten Belegschaft erst im Januar ausgezahlt. Es entstand damit ein völlig falsches Bild über die Lohnunkosten. Und das ist weitaus schlimmer als ein paar ›vergessene‹ Rechnungen.« Jennifer machte eine bewusste Pause. »Wenn wir den Verantwortlichen für diese Manipulationen finden, kann er sich seiner Entlassung sicher sein.«
Sie schaute Hausfeld eindringlich an. Der hielt ihrem Blick stand.
»Das alles ist jetzt nicht mehr zu ändern«, fuhr Jennifer in gleichbleibend ruhigem Ton fort. »Ebensowenig wie die Folgen. Ich habe mich mit meinen Experten beraten und Maßnahmen beschlossen.«
Jennifer erläuterte nun das Konzept, das die plastische Chirurgie als eine neue Abteilung einführte und das Schlafzentrum sowie eine der drei inneren Abteilungen schloss. »Wir rechnen damit, dass die plastische Chirurgie bereits nach einem Jahr schwarze Zahlen schreibt. Sie wird das Defizit auffangen. Natürlich nur, wenn gleichzeitig rationalisiert wird. Diese Rationalisierungsmaßnahmen werden wir noch im einzelnen besprechen. Aufgrund der neuen Situation kommen wir aber um Entlassungen nicht herum.« Den aufkommenden Widerspruch erstickte Jennifer im Keim. »Ich bin an dieser Stelle nicht zu Diskussionen bereit. Bedanken Sie sich bei dem Zahlenkünstler.«
Damit war alles gesagt. Jennifer ging in die Kantine, um einen Kaffee zu trinken. Den ernsten Gesichtsausdruck Carolines vor Augen verrührte sie den Zucker in der Tasse.
Natürlich dachte Caroline jetzt, sie hätte sie belogen. Aber das war nicht zu ändern. Und im Grunde auch völlig egal. Sollte Caroline
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