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Liebe unter Fischen

Liebe unter Fischen

Titel: Liebe unter Fischen
Autoren: Rene Freund
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vorstellen. Er ist jung, und statt einem Bart im Gesicht trägt er eine Tätowierung auf dem Arm, mit einer äußerst gelungenen Nixe, ein Fabelwesen, zu dem er sich seit frühesten Kindheitstagen in unerklärlicher Weise hingezogen fühlt. Er ist freilich, wie es den Menschen in dieser abgelegenen Gegend eigen zu sein scheint, ein wenig grobschlächtig. Dafür aber abgefuckter als so manche Großstadttype aus dem Berliner Untergrund. Dieser Hüne hat doch tatsächlich an einem sonnigen Plätzchen im Hang hinter der Hütte eine Hanfplantage angelegt! Schon jetzt hängen fette Blütendolden an den Pflanzen und verströmen einen betörenden Duft.
    Ich sehe Sie jetzt förmlich vor mir, höre, wie Sie höhnisch au fl achen, na klar, jetzt ist er bekifft, der Herr Firneis, aber darum geht es gar nicht. Ich rühre die Pflanzen nicht an, es sind ja nur ein paar wenige, und noch warten sie, um zur Vollendung hin zu drängen, auf ein paar südlichere Tage.
    Aber gut, ich gestehe, August und ich haben gestern im Abendsonnenschein vor der Hütte noch ein klein wenig von seinen höchst aromatischen » Elbtaler Gewürzkräutern«, wie er zu sagen pflegt, gekostet. Danach haben wir sehr großen Hunger bekommen und eine ganze Seite Speck sowie ein halbes Brot vertilgt, Vorräte, die August zum Glück stets in seinem Rucksack parat hält. Und wieder sehe ich Sie schmunzeln – oh, der Herr Vegetarier isst Speck, musste er danach nicht vielleicht weinen? Aber diesen Speck, liebe Susanne, hat August selbst gemacht, mit Rosmarin und Knoblauch gewürzt und wochenlang geräuchert, und zusammen mit dem frischen, dunklen Brot schmeckte das einfach himmlisch! Den Vogelbeerschnaps hätte ich gar nicht mehr gebraucht, um glücklich zu sein, aber natürlich wollte ich nicht unhö fl ich sein und habe Augusts Angebot angenommen, mir die Flasche dazulassen. Ihn zu seinem Auto zu begleiten war ich nach unserem kleinen Imbiss zugegebenermaßen nicht mehr in der Lage. Außerdem – und das erstaunt mich heute fast selbst – wollte ich gar nicht mitgehen, sondern hier in der Hütte bleiben.
    Als August sich verabschiedet hatte, stand ich auf dem Steg. Vom Berg her wehte ein warmer Wind, und der Mond spiegelte sich in der gekräuselten Wasseroberfläche des Elbsees. Ich stand da und wie aus dem Nichts kamen die schrecklichen Augenblicke in der Felswand wieder in mir hoch und plötzlich wurde mein Brustkorb durchgeschüttelt. Als ob jemand drinnen säße und wild gegen die Rippen klopfte. Ich begann heftig am ganzen Körper zu zittern. Ich schluchzte, ich heulte, die Tränen spritzten buchstäblich aus meinen Augen. Als es vorbei war, holte ich ganz tief Luft. Als ich diesen Atemzug machte, der meinen ganzen Brustkorb auszufüllen schien, den ich als Wärme in den Füßen und als Klarheit im Kopf spürte, fiel mir plötzlich auf: Ich hatte in den letzten Jahren das Atmen verlernt.
    Liebe Susanne! Es ist so wunderbar, das Atmen wieder entdeckt zu haben! Das wollte ich Ihnen sagen.
    Das Wetter heute ist nicht so schön. Wolken schweben träge über den Himmel, in regenschwangerer Luft. August hat versprochen, heute vorbeizukommen. Er hat gemeint, er bringt mich ins Dorf, damit ich Vorräte einkaufen kann. Wer weiß, vielleicht nütze ich die Gelegenheit, um abzureisen. Den Mercedes muss ich ohnehin hier zurücklassen, bis die Straße wieder gebaut ist. Das kann drei Tage, aber auch ein paar Wochen dauern, hat August gemeint. Es gibt wichtigere Straßen in diesem Land.
    Wie auch immer – selbst wenn ich morgen fahre, die Reise war nicht vergebens, denn ich atme wieder. Ich danke Ihnen von Herzen dafür.
    Ihr Fred Firneis

    PS : Ich habe überlegt, warum ich Ihnen schreibe. Das ist doch eigentlich bizarr, nicht? Wir sagen » Sie« zueinander, aber die vielen Menschen, mit denen ich per » Du« bin, sind mir in den letzten Jahren abhanden gekommen. Natürlich habe ich Freunde, Freundinnen, das wissen Sie ja. Aber nach dem Erfolg der beiden Bücher haben die alle so einen Supertypen in mir gesehen, sensibel, geistreich, weltgewandt, und diese Sicht auf mich hat sich verwandelt in ein Bild von mir selbst. Ein Supertyp hat keine Probleme. Ein Erfolgsmensch erzählt nicht bei einem kleinen Bier von seinen Sorgen und Nöten. Ein Bestsellerautor mit Ängsten – das wäre doch lächerlich! Lächerlich zum Beispiel die Angst, nichts Gutes mehr schreiben zu können. Mit dem nächsten Buch die totale Pleite einzufahren. Ausgeschrieben zu sein, für immer. Ich
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