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Liebe unter Fischen

Liebe unter Fischen

Titel: Liebe unter Fischen
Autoren: Rene Freund
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Grünbach nicht einmal einen Bahnhof? Vielleicht war der einzige Postbus bereits in der Früh abgefahren? Also wozu den Koffer mitnehmen? Hinter all den Gedanken lag ein anderer versteckt, den sich Fred selbst nicht in solcher Deutlichkeit eingestehen wollte: Er hatte gar keine Lust, nach Berlin zu fahren. Allein bei dem Gedanken daran verspürte Fred Heimweh nach seiner Hütte.
    August hatte den Weg wunderbar beschrieben, und Fred fand den kleinen Pfad mühelos. Eigentlich, so dachte er, gehörte einiges an Verwirrtheit dazu, den Weg nicht zu finden, denn er führte ganz selbstverständlich an der Bergflanke entlang in das kleine Tal hinunter. Es dauerte nicht lange, bis Fred auf der » Hauptstraße« angelangt war. Er sah zurück und erkannte die Felswand wieder, die er fast hinabgestürzt war. Heute musste er darüber lachen. Nur ein Irrer konnte auf die Idee kommen, da hinunterklettern zu wollen.
    Entschlossenen Schrittes machte sich Fred auf den Weg Richtung Grünbach. Er trug seine normalen Berliner Straßenschuhe, denn andere hatte er nicht mitgenommen, und Wanderschuhe besaß er gar nicht. Doch das war kein Problem: Die Schotterstraße befand sich in tadellosem Zustand. Nur dort, wo sie in Senken nahe dem Bach verlief, konnte man Spuren einer Überschwemmung erkennen.
    » Ich gehe in die Stadt«, dachte Fred lächelnd, und er musste sich eingestehen, eine gewisse Feierlichkeit zu verspüren, so wie vielleicht früher die Holzknechte und Sennerinnen, wenn sie sich sonntags auf den Weg ins Dorf machten. Der Gedanke erschreckte ihn kurz – was, wenn Sonntag war und er gar nichts einkaufen konnte? Er versuchte, zu rekonstruieren, was für ein Wochentag war, musste aber erkennen, dass er zwar dank seiner Briefe das Datum kannte, aber das Gefühl für die Zeit verloren hatte. Er kontrollierte die Taschen seiner leichten, sehr urbanen Jacke – ein Tick von ihm. Geld da. Tabak da. Brief da. Handy nicht da.
    Natürlich, das Handy lag am Grund des Sees.
    Fred ging Richtung Ort, und nebenbei in sich. Er dachte an Charlotte. Das erste Mal, seit sie ihn verlassen hatte, dachte er ohne Bitterkeit an sie. Charlotte hatte recht gehabt, ihn zu verlassen. » Nicht, dass ich sie schlecht behandelt hätte«, sagte Fred leise. » Ich hab sie gar nicht behandelt .«
    Fred hatte Charlotte gleich am ersten Abend – um einen Begriff seiner Mutter zu gebrauchen – » entzückend« gefunden. Das allein hätte ihm schon zu denken geben sollen. Wenn er eine Frau mit einem Eigenschaftswort aus dem Repertoire seiner Mutter bedachte, konnte das nichts Gutes bedeuten. Aber entzückend war sie. Ein richtiges Berliner Gör, mit frechem Kurzhaarschnitt, und einer ganz eigenen Kunstsprache. Charlotte hätte zum Beispiel gesagt: » Kuns-sprache«. Sie verschluckte gerne ganze Silben, wie es Betrunkene tun, doch sie tat das mit derselben Gewandtheit und Schnelligkeit, mit welcher sie an anderer Stelle Buchstaben hinzufügte. » Du hast vergess, Weins zu kaufen«. (Ein gutes, allerdings unrealistisches Beispiel.)
    Charlotte konnte wunderbar kindisch sein. Ihre Arbeit als Moderatorin bei einem großen Fernsehsender für Kinder passte perfekt zu ihr und machte ihr viel Spaß. Eigentlich hätte er selbst einen Haufen Kinder mit ihr bekommen sollen und dann glücklich sein bis zum Ende seiner Tage, Amen. Fred kickte einen Stein von der Straße.
    Er dachte daran, wie er Charlotte kennengelernt hatte, bei einer Vernissage ihres gemeinsamen Freundes Benno. Zufällig hatten sie gemeinsam die Galerie verlassen, ein paar Worte gewechselt, Interesse aneinander gefunden und sich dann noch auf eine Bank an das Ufer der Spree gesetzt. Nun ja, und wenn ein Mann und eine Frau nachts auf einer Bank am Ufer eines Flusses sitzen und ein wenig Sympathie für einander verspüren, dann muss es schon mit dem Teufel hergehen, wenn sie sich nicht näher kommen. Fred hatte damals eine sehr ausgeprägte Schmuse-Phase. Er mochte die Zärtlichkeit daran fast ebenso sehr wie die Unverbindlichkeit. Manche Frauen machte das rasend, sie wollten mehr, aber die meisten waren glücklich, ebenfalls unverbindlich zu bleiben. Das war Fred am liebsten. Herzensfaulheit? Feigheit? Oder einfach der Wille, unverbindlich und dadurch ungebunden zu bleiben?
    Seine wilden Jahre hatte Fred unter dem Motto gelebt: Besser man bereut, was man getan hat, als man bereut, was man nicht getan hat. Mittlerweile wusste er, es gibt nichts zu bereuen, und, besser noch, es gibt nicht mal was zu
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