Liebe unter Fischen
versäumen. Wir glauben immer, etwas zu versäumen, dachte er, und es zerreißt uns fast wegen der vielen Möglichkeiten, die uns verlocken. Aber man kann nicht in der Möglichkeitsform leben. Wir können nicht überall sein. Wir können nicht das Glück des Nachbarn auch noch haben. Der Gedanke daran, es nicht zu haben, macht uns allerdings verrückt.
Fred war in letzter Zeit immer weniger gern auf Partys gegangen. Das lag unter anderem daran, dass er dort oft auf Frauen traf, mit denen er etwas gehabt hatte. Zumindest ein bisschen was. In jungen Jahren hatte ihn dieser Nervenkitzel noch beflügelt: Die verschämten und gleichzeitig schamlosen Blicke, die er den Verflossenen zuwarf und diese zurück (oder umgekehrt); die zaghaften und ebenso flirtiven Gespräche, in denen es auszutesten galt, ob eine Wiederholung denkbar oder erwünscht wäre. Jetzt fand Fred diese zufälligen Begegnungen eher peinlich und anstrengend. Es störte ihn auch zunehmend, den Gedanken nicht loszuwerden, dass von allen Menschen, mit denen du dich vermischst, irgendetwas an dir kleben bleibt. Er wollte weder an alte Vermischungen erinnert, noch zu Wiederholungen oder gar zu Neuem verleitet werden.
Charlotte jedenfalls hatte sie gewollt. Die Vermischung. Und gewehrt im Sinne von aktivem Widerstand hatte sich Fred dagegen noch nie.
Plötzlich Bremsgeräusche auf Schotter, Hupen, wegspritzende Steinchen. Ein merkwürdiges Fahrzeug, das Fred wegen des rauschenden Gebirgsbachs überhört und wegen der Kurve nicht gesehen hatte, schlitterte ihm entgegen. Als es zum Stillstand gekommen war, identifizierte Fred das Fahrzeug als alten Puch Ha fl inger, ein kleines, äußerst wendiges Auto, das ursprünglich für die Armee gebaut worden war, und das sich nun unter Jägern großer Beliebtheit erfreute, weil man sich damit praktisch in jedem Gelände fortbewegen konnte. Das abmontierte Stoffdach lag neben einem Haselnussstock und einem Jagdgewehr auf der Ladefläche. Auf dem Beifahrersitz saß Aisha, die Labradorhündin, am Steuer August. Der schien viel weniger erschrocken als Fred.
» He, der Dichter! Servus! Steig ein .«
Fred ging zur Beifahrerseite, Aisha schleckte ihm über das Gesicht.
» Wo warst du ?« , fragte Fred streng. Er hatte wohl ein bisschen zu oft an Charlotte gedacht.
» Weg«, antwortete August.
» Hab ich gemerkt. Ich wäre fast verhungert .«
» Du schaust aber gesund aus. Steig ein, ich fahr dich heim .«
» Hast du meine Sachen ?«
» Sicher .«
Fred stieg zu. Aisha setzte sich auf den Boden.
» Ich hab mir Sorgen um dich gemacht«, sagte Fred vorwurfsvoll.
August lachte und fuhr los: » Machst du mir jetzt eine Szene ?«
» Wo warst du ?«
» Bei der Andrea .«
» Ich hab’s mir gedacht. Bei einer Sennerin. Oben auf der Alm .«
» Sie ist Büroangestellte. Draußen in der Stadt. Ändert aber nichts an den Umständen: lange Anreise, eigene Welt, viel Schöntun .«
» Was ?«
» Schöntun. Du musst der Frau immer vermitteln, sie ist die Einzige, die Wahre, die Beste … die hören das gern !«
» Sehr romantisch«, sagte Fred spitz.
» Man tut was man kann .«
» Und wo bleibt dann die Liebe ?«
» Die Liebe ist immer, oder ist nicht .«
» So einfach ist das ?«
» Einfacher geht’s nicht«, behauptete August.
Dröhnend holperte der Ha fl inger über die Straße. Fred wurde durchgeschüttelt. Das betraf auch seine Gefühle.
» Bei mir war sie nicht. Die Liebe. Mit Charlotte«, sagte er.
» Charlotte ?«
» Kennst du Aikido ?«
» Ich kenn beide nicht. Du hattest was mit Charlotte UND Aikido ?«
» Aikido ist eine defensive Kampfkunst aus Japan. Man nützt die Kraft des Gegners, um ihn ins Leere laufen zu lassen. Ich habe mit Charlotte Aikido gemacht. Ich ließ sie ins Leere laufen. Zum Beispiel, wenn sie reden wollte. Ich hab einfach geschwiegen. Gar nichts gesagt. Versucht, Schüttelreime aus ihren Vorwürfen zu machen. Wenn ich nichts tue, kann ich es am schnellsten hinter mich bringen. Hab ich gedacht .«
» Und ?«
» Ich hab es gründlich hinter mich gebracht. Sie hat mich verlassen. Ist ausgezogen. Nach drei Jahren – einfach weg. Hat mich sitzen lassen in der Wohnung, einfach so .«
» Willst du jetzt Mitleid ?«
» Nein. Ich hab’s vergeigt. Ich verstehe nur nicht, warum. Ich bin eigentlich ein liebenswerter Mensch .«
» Man muss es sich halt manchmal dazudenken .«
Die beiden waren mittlerweile auf dem Parkplatz am Ende der Straße angekommen.
August stellte den Motor ab,
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