Liebe unter Fischen
sah sie nicht und war im Grunde nicht unglücklich darüber. Sie würde seine Einsamkeit nicht stören.
Gegen elf aß Fred das letzte Stück Brot und das letzte Stück Käse. Von August keine Spur. Auch von Mara nicht. Vielleicht war sie eine Touristin, die ihn auf den Arm genommen hatte. Wie eine Forscherin sah sie ja nicht gerade aus. Andererseits, auch Konrad Lorenz oder Hans Hass sahen in der Badehose nicht wie Forscher aus.
Am Nachmittag beschloss Fred, nach Grünbach zu fahren. Er war ja nun nicht mehr auf Augusts Lieferungen angewiesen. Er wäre auch gar nicht mehr in der Lage gewesen, ihm das Geld für die Einkäufe zu ersetzen. Er brauchte einen Bankomat und ein Geschäft.
Fred packte sein Schnipseltagebuch zusammen, um es Susanne zu schicken. Wenn sie das las, würde sie endlich verstehen, dass er nicht mehr schreiben wollte. Nicht mehr schreiben konnte.
Fred genoss es, in seinem eigenen Auto zu sitzen und hinfahren zu können, wohin er wollte. Er bewunderte, wie solide die Straße in dieser kurzen Zeit wieder aufgebaut worden war. Bei Forststraßen konnte man den Österreichern nichts vormachen.
Grünbach wirkte ganz anders als an dem Tag, an dem Fred angekommen war. Im Garten des Gasthofs zur Gams saßen Gäste, aßen und tranken und wirkten zufrieden. Dem Wirt entging keines der vorbeifahrenden Autos. Er nickte Fred freundlich zu.
Auf dem Grünbacher Hauptplatz parkte Fred ein. Er hob Geld ab, ging zur Post, kaufte Kuverts, Marken, Papier und eine Postkarte.
Im einzigen Geschäft des Ortes bestaunte er die Waren, die teilweise noch aus der Zeit seiner Kindheit zu stammen schienen. Fred erstand eine Dose Ravioli und eine mit gefüllten Paprika. Jugenderinnerungen. Riesige, runde Brotlaibe lagen in den Regalen; von einem Dachbalken hingen Würste, Speck und geräucherter Käse. Die Chefin, begeistert von ihrem eigenen Sortiment, beriet ihn mit Herz. Ihr Mann tippte die Preise händisch in eine Kasse ein. Das hatte Fred schon lange nicht mehr gesehen.
Er verstaute seine Vorräte im Kofferraum. Aus dem Lager brachte der Besitzer noch eine Kiste Bier und zwei Kartons Wein. Diesbezüglich war die Auswahl selbst bei Berliner Moslems reichhaltiger. Immerhin, es gab Weiß und Rot.
Fred drehte eine Runde über den Platz, besuchte die Dorfkirche, las die Kundmachungen im Schaukasten des Gemeindeamtes ( » Erhöhung der Hundeabgabe«, » Information über Wildbach- und Lawinenverbauung«) und landete schließlich fast ohne es zu wollen im Tourismusbüro. Eine attraktive, wenngleich etwas streng wirkende Dame im Dirndl begrüßte ihn.
» Haben Sie viele Privatzimmer ?« , fragte Fred.
» Wir haben sicher noch etwas Freies«, sagte die Dame und tippte in die Tastatur ihres Computers. » Suchen Sie etwas mit Urlaub am Bauernhof oder lieber Wellness oder Familienanschluss ?«
» Ich suche eigentlich eine relativ junge Frau«, rutschte es Fred heraus.
Die Tourismus-Dame schaute streng hinter ihrem Bildschirm hervor.
» Ich weiß schon«, sagte Fred beschwichtigend, » die meisten Männer in meinem Alter suchen eine relativ junge Frau. Aber in meinem Fall geht es um Wissenschaft. Ich muss mit der Dame etwas besprechen. Etwas Limbologisches .«
» Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann ?«
» Die Wissenschaftlerin wohnt in einem Privatzimmer. Sie heißt Mara .«
» Wir haben 118 Privatzimmer-Betten. Ich verfüge über keine Gästeliste und wenn, dürfte ich sie Ihnen nicht weitergeben. Tut mir leid .«
» Ist schon klar. Mir tut es leid. War wirklich eine blöde Idee. Nichts für ungut. Ist auch nicht so wichtig! Auf Wiedersehen .«
» Auf Wiedersehen. Und noch einen schönen Aufenthalt in Österreich !«
Mit diesem guten Wunsch verletzte die Fremdenverkehrs-Dame zwar Alfreds Gefühle, aber nach diesem idiotischen Auftritt war das auch schon egal. Er setzte sich in den Gastgarten des fast schon mondän zu nennenden Kaffeehauses neben dem Gemeindeamt und bestellte einen Cappuccino, der seine Erwartungen weit übertraf.
Postkarte, Motiv Grünbach am Elbsee
Liebe Susanne!
Das Wetter ist sehr gut und vielleicht bleibe ich noch ein bisschen. In getrennter Post schicke ich ein paar Gedanken-Fetzen (im Wortsinn). Grünbach ist ein schöner Ort und die Menschen sind sehr nett. Liebe Grüße, Alfred
Als Alfred Firneis bei der Hütte am Kleinen Elbsee ankam, saß Mara bereits auf dem Steg. Sie schaute angestrengt ins Wasser und hatte Fred nicht bemerkt. Oder, dachte Fred, sie tut angestrengt so, als
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