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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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ist voll von himmlischen Herzögen.«
    »Was man so himmlisch nennt – und außerdem sind sie fast immer unterwegs. Für Boy zählen sie auch nicht so wie französische oder englische Herzöge.«
    »Aber das ist doch Unsinn, keiner ist imposanter als Pincio. Aber wenn sie für ihn nicht zählen (ich gebe zu, einige wirken ein bisschen irreal) und wenn er im Ausland leben muss, warum geht er dann nicht nach Paris? Dort gibt es jede Menge echte Herzöge – fünfzig, um genau zu sein –, Souppes hat es mir mal erzählt, ihr wisst ja, dass sie in dieser Zunft über nichts anderes als über sich selbst reden.«
    »Mein lieber Cedric, die beiden sind sehr arm – sie können sich ein Leben in England nicht leisten, geschweige denn in Paris. Deswegen sind sie ja noch immer in Sizilien, anderenfalls wären sie längst wieder hier. Boy hat bei dem Börsenkrach letzten Herbst Geld verloren, und er hat mir erzählt, dass sie praktisch mittellos daständen, wenn er Silkin nicht sehr gut vermietet hätte. Oje, wenn man bedenkt, wie reich Polly gewesen wäre …«
    »Keine grausamen Blicke, bitte«, sagte Cedric. »Die Gerechtigkeit muss Man walten lassen, nicht wahr?«
    »Trotzdem, die ganze Sache ist erschütternd und zeigt nur, wohin die gute alte Sexualität den Menschen bringen kann. Ich habe noch nie jemanden so erfreut gesehen wie Boy, als ich auftauchte – wie ein Hund, dem man die Leine abnimmt. Wie er mich ausgefragt hat, nach jeder Kleinigkeit – man merkte sofort, wie einsam er sich fühlt und wie er sich langweilt, der arme Kerl.«
    Ich aber dachte an Polly. Wenn er sich langweilte und einsam fühlte, dann war sie wahrscheinlich auch nicht sehr glücklich. Beziehungen zwischen Menschen stehen und fallen mit der Atmosphäre, die jeder für den anderen schafft, und was für eine Atmosphäre schuf wohl eine enttäuschte Polly für einen gelangweilten, einsamen Boy? Ihr Zauber, abgesehen von ihrer Schönheit – und man weiß ja, Ehemänner gewöhnen sich an die Schönheit ihrer Frauen, sodass sie ihnen schließlich nicht mehr ans Herz greift –, ihr Zauber rührte aus dem Sphinxhaften, das ihr der heimliche Traum von Boy verlieh; damals in Alconleigh, in den ersten Tagen, als ihr Traum in Erfüllung ging, hatte ihr Glück sie unwiderstehlich gemacht. Aber ich sah auch, wenn das Rätsel gelöst war und das Glück dahinschmolz, wenn Polly nicht mit ihrer täglichen Runde bei Madame Rita, bei Debenhams und beim Friseur beschäftigt war und nicht die Kraft hatte, neue Interessen zu entwickeln, dann konnte sie leicht in Trübsinn verfallen. Sizilianische Volksbräuche würden ihr keinen Trost bieten, das wusste ich, und sizilianische Edelmänner wahrscheinlich auch nicht, jedenfalls noch nicht.
    »Ach«, sagte ich, »wenn Boy nicht glücklich ist, dann kann Polly es ja wohl auch nicht sein. Arme Polly.«
    »Arme Polly – hm, hm –, zumindest war es ihre Idee«, sagte Davey, »mein Mitleid gilt dem armen Boy. Aber er kann nicht behaupten, dass ich ihn nicht immer wieder gewarnt hätte.«
    »Wie steht es denn mit einem Kind?«, fragte ich. »Irgendwelche Anzeichen?«
    »Nichts, soweit ich sehen konnte, aber wie lange sind sie denn auch verheiratet? Achtzehn Monate? Sonia war achtzehn Jahre verheiratet, als sie Polly bekam.«
    »Du liebe Zeit!«, sagte ich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Lektor in achtzehn Jahren noch imstande ist …«
    Ein wohlbekannter schmerzlicher Blick von Davey ließ mich innehalten.
    »Vielleicht sind die beiden deshalb so traurig«, schloss ich etwas schlapp.
    »Möglich. Jedenfalls kann man nicht sagen, dass sie einen glücklichen Eindruck machten.«
    In diesem Augenblick wurde Cedric ans Telefon gerufen, und Davey flüsterte mir zu: »Unter uns, Fanny, und erzähl es bitte nicht weiter, ich glaube, Polly hat Kummer mit Boy.«
    »Oje«, sagte ich, »Küchenmädchen?«
    »Nein«, sagte Davey, »keine Küchenmädchen.«
    »Was du nicht sagst!«, rief ich entsetzt.
    Cedric kam zurück und berichtete, Lady Montdore sei auf frischer Tat beim zweiten Frühstück im Devonshire Tea-Room ertappt und entlassen worden. Sie hatte Cedric gesagt, der Wagen, der sie abholte, würde auf dem Weg zu ihr vorbeikommen und ihn mitnehmen, damit sie die Heimfahrt nicht allein machen müsse.
    »Da haben wir’s«, sagte er betrübt. »Nun wird doch nichts aus meinem kleinen Besuch bei dir, und ich hatte mich schon so darauf gefreut.«
    Mir kam der Gedanke, dass Cedric die Orangenkur nicht so sehr arrangiert
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