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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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zu invalid. Sie haben immer ein Bein oder zwei verloren, und das Gas hat ihnen furchtbar zugesetzt. Die französischen Kriege müssen viel blutiger gewesen sein als die englischen, obwohl ich in Paris einen Colonel kenne, der manchmal die Antiquitätenläden besucht.«
    »Aber wie verschaffen sie sich denn Bewegung?«, fragte ich.
    »Ganz anders, Liebling. – Ihr habt doch nicht angefangen, wegen Boy? Oh, wie freundlich. Auch Sonia hat mich aufgehalten, am Telefon. Sie ist ganz außer sich – anscheinend haben sie sich Sonia vorgeknöpft, weil sie den Pflegerinnen das Frühstück gestohlen hat – der Direktor hat sehr mit ihr geschimpft und gesagt, wenn es noch einmal vorkäme oder sie noch einmal etwas Verbotenes zu sich nähme, würde sie vor die Tür gesetzt. Stellt euch vor, kein Dinner, nur einen Orangensaft um Mitternacht, und dann weckt einen der Duft von Kippers. Vollkommen verständlich, dass die Gute hinausschlich und sich einen geklaut hat, sie hatte ihn unter dem Morgenrock, als man sie schnappte. Zum Glück hatte sie schon das meiste gegessen, bevor sie ihn ihr wegnahmen. Es lag aber auch daran, dass sie schon von Anfang an ziemlich demoralisiert war, weil sie im Gästebuch Ihren Namen gefunden hat, Davey. Anscheinend stieß sie einen Schrei aus und rief: ›Aber dieser Mann ist ein wandelndes Skelett, was hatte der hier zu suchen?‹, und dann erklärte man ihr, Sie seien dort gewesen, um zuzunehmen. Welche Idee liegt dem zugrunde?«
    »Die Idee der Gesundheit«, antwortete Davey ungeduldig. »Wenn man zu dick ist, nimmt man ab, und wenn man zu dünn ist, nimmt man zu. Das müsste doch jedes Kind verstehen. Aber Sonia wird es nicht einen Tag durchhalten, keine Selbstdisziplin.«
    »Die Ärmste, Man würde es genauso machen«, sagte Cedric. »Aber was sollen wir tun, um die Kilos loszuwerden? Vielleicht Vichy?«
    »Lieber, überleg doch mal, wie viel Kilo sie schon abgenommen hat«, sagte ich, »sie ist doch schon so dünn, muss sie denn noch dünner werden?«
    »Bloß noch eine kleine Idee um die Hüften«, sagte Cedric, »Pullover und Rock sind eine gute Probe, und darin wirkt sie noch etwas füllig – dieser winzige Wulst um die Rippen. Außerdem heißt es, Orangensaft mache die Haut rein. Oh, ich hoffe wirklich, dass sie noch ein paar Tage durchhält, zu ihrem eigenen Wohl, weißt du. Sie sagt, eine andere Patientin habe ihr von einem Lokal im Dorf erzählt, wo man Devonshiregebäck zum Tee bekommt, aber ich habe ihr gesagt, sie solle vorsichtig sein. Nach dem Vorfall von heute Morgen werden sie bestimmt ein Auge auf sie haben, und ein weiterer Fehltritt könnte fatale Folgen haben, was meinen Sie, Davey?«
    »Ja, sie sind dort irrsinnig streng«, sagte Davey. »Sonst hätte das Ganze auch keinen Sinn.«
    Wir setzten uns zu Tisch, und Davey begann mit seinem Bericht.
    »Eins kann ich euch gleich sagen, ich glaube, sie sind alles andere als glücklich.«
    Ich wusste, Davey sah die Dinge nicht durch eine rosa Brille, aber er sprach mit solcher Bestimmtheit und Überzeugung, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste ihm glauben.
    »Oh, Davey, was sagst du da? Wie furchtbar!«
    Cedric, der Polly nicht kannte und nicht liebte und dem es deshalb ziemlich gleichgültig war, ob es ihr gutging, sagte: »Lieber Davey, das geht mir viel zu schnell. Bitte erzählen Sie die ganze Geschichte. Sie gingen von Bord …«
    »Ja, in Syrakus, nachdem ich von Athen telegrafiert hatte, ich würde für eine Nacht kommen, und sie holten mich mit einem Dorftaxi am Hafen ab. Sie haben keinen eigenen Wagen.«
    »Die Einzelheiten, bitte. Wie waren sie gekleidet?«
    »Polly hatte ein schlichtes blaues Baumwollkleid an, und Boy war in Shorts.«
    »Der Anblick von Boys Knien würde mich nicht sehr reizen«, sagte ich.
    »Sie sind in Ordnung«, sagte Davey, der Boy wie üblich verteidigte.
    »Und Polly? Schön?«
    »Nicht so schön« (Cedric schien hocherfreut über diese Nachricht), »außerdem schlecht gelaunt. Nichts war ihr recht. Sie hasst das Leben im Ausland, kann die Sprache nicht lernen, redet Hindustani mit dem Personal, beklagt sich, dass sie ihr die Strümpfe stehlen …«
    »Das geht mir viel zu schnell, wir sind noch im Taxi, Sie können nicht einfach auf Strümpfe vorgreifen – wie weit entfernt von Syrakus?«
    »Ungefähr eine Stunde mit dem Auto, und unbeschreiblich schön – die Lage, meine ich. Die Villa liegt an einem Südosthang, man blickt über Olivenbäume, Schirmpinien und Weinberge aufs Meer – ihr
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