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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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wie viel Hunde gehörten bei der Fuchsjagd zu einer Meute, wo hielt sich die königliche Familie zur Zeit auf? Lady Montdore kam sich vor wie das Kaninchen vor der Schlange – eine für sie völlig neue Erfahrung. Zuletzt hielt sie es nicht länger aus und löste die Party auf, sodass die Frauen an diesem Abend sehr viel früher ins Bett kamen, als es in Hampton sonst üblich war.

5
    Da ich zum ersten Mal zu einer so großen, vornehmen Hausparty für Erwachsene eingeladen war, wusste ich nicht, wie es mit dem Frühstück gehalten wurde, und fragte deshalb Polly, bevor wir uns Gute Nacht sagten.
    »Ach«, meinte sie unbestimmt, »irgendwann um neun«, und ich verstand es so, wie es zu Hause gemeint gewesen wäre: zwischen fünf nach neun und Viertel nach neun. Am nächsten Morgen wurde ich um acht von einem Dienstmädchen geweckt. Sie fragte mich: »Gehören diese Handschuhe Ihnen, Miss, sie wurden im Wagen gefunden?«, ließ mir ein Bad einlaufen und machte sich anschließend daran, sämtliche sichtbar herumliegenden Kleidungsstücke zum Verschwinden zu bringen, zweifellos, um sie zu dem Tweedkostüm, dem Pullover, den Schuhen, den Strümpfen und der Unterwäsche zu legen, die sie tags zuvor bereits eingesammelt hatte. Bald würde ich ohne alles, nur in Handschuhen, unten erscheinen.
    Tante Emily erlaubte mir nie, bei Besuchen ihr Dienstmädchen mitzunehmen, und sagte, es würde mich zu sehr verwöhnen, falls ich später einen armen Mann heiraten würde und ohne Dienstmädchen auskommen müsste; so war ich, wenn ich verreiste, immer dem Wohlwollen fremder Dienstboten ausgeliefert.
    Gegen neun war ich gebadet, angezogen und gar nicht abgeneigt, etwas zu mir zu nehmen. Nach dem ausgiebigen Dinner vom Vorabend, das eigentlich eine ganze Woche hätte vorhalten müssen, war ich seltsamerweise hungriger als sonst. Nachdem die Stalluhr neun geschlagen hatte, wartete ich noch ein paar Minuten, um nicht die Erste zu sein, bevor ich mich nach unten wagte, musste aber zu meiner Überraschung feststellen, dass auf dem Tisch im Esszimmer noch immer der grüne Überzug zu sehen war. Die Tür zum Anrichteraum stand weit offen, und Diener in gestreiften Westen und Hemdsärmeln waren mit lauter Dingen beschäftigt, die keineswegs auf das Herannahen einer Mahlzeit hindeuteten, sortierten Briefe oder falteten die Morgenzeitungen auseinander. Überrascht und feindselig, so schien es mir, sahen sie zu mir herüber und kamen mir noch erschreckender vor als die übrigen Gäste. Gerade wollte ich mich schleunigst in mein Zimmer zurückziehen, als eine Stimme hinter mir sagte: »Was für ein furchtbarer Anblick, dieser leere Tisch.« Es war der Duc de Sauveterre. Das Licht des Morgens hatte meine Tarnfärbung offenbar zum Verschwinden gebracht, und der Herzog sprach sogar so, als wären wir alte Freunde. Ich war überrascht, aber meine Überraschung wuchs, als er mir die Hand gab, und sie erreichte ihren Gipfel, als er schließlich sagte: »Auch mich verlangt es nach meinem Porridge, aber hier können wir nicht bleiben, es ist zu trostlos, wollen wir einen Spaziergang machen, solange er noch unterwegs ist?«
    Ich fand erst wieder zu mir, als ich schon in einer der großen Lindenalleen des Parks neben ihm her ging, sehr rasch, fast im Laufschritt, um mitzuhalten. Dabei redete er ununterbrochen, genauso schnell, wie er ging.
    »Zeit der Nebelschleier«, sagte er, »und der mürben Fruchtbarkeit – wie finden Sie meine literarische Beschlagenheit, brillant, wie? Heute Morgen sieht man vor lauter Nebelschleiern allerdings nur wenig von der Fruchtbarkeit.«
    Tatsächlich umgab uns ein dünner Nebel, aus dem die Silhouetten großer gelber Bäume hervortraten. Das Gras triefte vor Nässe, und ich spürte schon, dass meine Hausschuhe undicht waren.
    »Ich liebe es, mit der Lerche aufzustehen«, fuhr er fort, »und vor dem Frühstück zu lustwandeln.«
    »Machen Sie das jeden Tag?«, fragte ich.
    Ich wusste, manche Leute taten das.
    »Nein, niemals. Aber heute Morgen habe ich meinem Diener aufgetragen, eine Verbindung nach Paris herzustellen, und hatte gedacht, es würde eine Stunde dauern, aber sie war sofort da, und nun weiß ich gar nicht, was ich, an diesem toten Punkt angelangt, mit der mir verbliebenen Zeit Rechtes beginnen soll. Wie finden Sie mein Englisch, wundervoll, wie?«
    Dieser Anruf in Paris zeugte in meinen Augen von einer atemberaubenden Verschwendungssucht. Tante Sadie und Tante Emily führten nur in Krisenzeiten Ferngespräche,
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