Liebe unter kaltem Himmel
und auch dann brachen sie meist mitten im Satz ab, wenn das Drei-Minuten-Zeichen ertönte; gewiss, Davey telefonierte fast täglich mit seinem Arzt in London, aber nur von Kent aus, und außerdem sprach einiges dafür, dass sich Daveys Gesundheit wirklich in einem dauernden Krisenzustand befand. Aber nach Paris, ins Ausland!
»Ist jemand krank?«, wagte ich zu fragen.
»Nicht direkt krank, aber sie langweilt sich, die Arme. Ich verstehe das gut, Paris muss schlimm sein ohne mich, ich weiß nicht, wie sie es aushält. Sie tut mir wirklich leid.«
Es wäre wohl jedem schwergefallen, bei diesem außerordentlichen Mann lange schüchtern zu bleiben, und auch bei mir siegte die Neugier bald über die Schüchternheit: »Wer denn?«, fragte ich.
»Meine fiancée «, sagte er unbekümmert.
Ach, herrje! Irgendwie hatte ich geahnt, dass diese Antwort kommen würde; mir sank das Herz, und ich sagte mit dünner Stimme: »Oh, wie aufregend! Sie sind verlobt?«
Er warf mir einen belustigten Blick von der Seite zu.
»O ja«, sagte er, »und verliebt!«
»Und werden Sie bald heiraten?«
Aber warum, so fragte ich mich, war er allein gekommen, ohne sie? Wenn ich einen so bezaubernden fiancé hätte – ich wäre ihm bestimmt wie ein treuer Spaniel überallhin gefolgt.
»Ich glaube nicht, dass es sehr bald sein wird«, meinte er fröhlich. »Sie wissen ja, wie das mit dem Vatikan ist, Zeit spielt für diese Leute keine Rolle, tausend Äonen sind in ihren Augen wie ein kurzer Abend. Ich kenne mich gut aus in der englischen Dichtung, finden Sie nicht auch?«
»Wenn Sie das Dichtung nennen. Eigentlich ist es aus einem Kirchenlied. Aber was hat Ihre Heirat mit dem Vatikan zu tun, der ist doch in Rom, oder?«
»Ganz recht. Aber es gibt sie nun einmal, die römische Kirche, meine liebe junge Dame, und ich gehöre ihr an, und diese Kirche muss die Ehe meiner Versprochenen zuerst annullieren – kann man das sagen, Versprochene?«
»Man kann. Es klingt aber ziemlich gespreizt.«
»Meine inamorata , meine Dulcinea (brillant, wie?), muss ihre Ehe zunächst annullieren, bevor sie mich heiraten kann.«
»Du liebe Güte! Ist sie denn schon verheiratet?«
»Ja, selbstverständlich. Man trifft sehr wenige unverheiratete Damen, wissen Sie. Bei schönen Frauen währt dieser Zustand nicht sehr lange.«
»Meine Tante Emily billigt es nicht, dass sich Leute verloben, wenn sie verheiratet sind. Meine Mutter hat es oft so gemacht, und meine Tante Emily regt sich darüber immer sehr auf.«
»Sie müssen Ihrer lieben Tante Emily erklären, dass es in mancher Hinsicht ziemlich bequem ist. Aber sie hat trotzdem vollkommen recht, ich bin viel zu oft und zu lange fiancé gewesen, und es wäre jetzt an der Zeit, dass ich heirate.«
»Wollen Sie denn?«
»Ich weiß nicht recht. Jeden Abend mit der gleichen Person zum Essen ausgehen muss schrecklich sein.«
»Sie können doch zu Hause bleiben.«
»Alte Gewohnheiten aufgeben ist auch ziemlich schrecklich. Ich habe mich so sehr an das Verlobtsein gewöhnt, dass ich mir etwas anderes kaum noch vorstellen kann.«
»Aber waren Sie denn vor dieser Frau schon mit anderen verlobt?«
»Viele, viele Male«, gestand er.
»Und was ist aus all diesen Frauen geworden?«
»Unterschiedliche Schicksale, über die der Mantel des Schweigens gebreitet ist.«
»Was ist zum Beispiel aus der Letzten vor dieser geworden?«
»Lassen Sie mich nachdenken. Ach ja, sie tat etwas, das ich nicht billigen konnte, deshalb hörte ich auf, sie zu lieben.«
»Sie können aufhören, einen Menschen zu lieben, weil er Dinge tut, die Sie nicht billigen?«
»Jawohl.«
»Ein glückliches Talent«, sagte ich. »Ich könnte das nicht.«
Wir hatten das Ende der Allee erreicht, und vor uns lag ein Stoppelfeld. Die Strahlen der Sonne drangen jetzt durch den Nebel, lösten ihn nach und nach auf und tauchten die Bäume, das Feld und eine Gruppe von Heuschobern in flimmerndes Gold. Ich überlegte, was für ein Glück mir zuteil wurde, indem ich hier einen so herrlichen Augenblick mit genau dem richtigen Menschen erleben durfte, und dass ich diesen Augenblick nie im Leben vergessen würde.
Der Herzog unterbrach diese sentimentalen Erwägungen mit den Worten:
»Sieh, wie der Morgen hell erstrahlt,
So trüb auch unser Los,
ist unser Herz doch warm.
Wie finden Sie meine geflügelten Worte, perfekt, oder? Aber sagen Sie mir, wer ist im Augenblick Veronicas Liebhaber?«
Noch einmal musste ich gestehen, dass ich Veronica nie zuvor
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