Liebe unter kaltem Himmel
noch immer genauso aus wie damals, als ich noch ein kleines Mädchen war und sie kennenlernte.
»Wer war denn noch da«, fragte Davey, »die Dougdales?«
»O ja. Ist der Lektor nicht blöhöd?«
Davey lachte. »Und lasterhaft?«, fragte er.
»Nein, lasterhaft eigentlich nicht, nicht mit mir.«
»Natürlich, das konnte er sich nicht leisten, in Sonias Gegenwart, das würde er nicht riskieren. Er war jahrelang ihr Hausfreund, weißt du.«
»Das kann doch nicht wahr sein!«, rief ich fasziniert. Das Wunderbare an Davey war, er wusste alles über die Leute, ganz anders als meine Tanten, die jetzt, da wir erwachsen waren, zwar nichts dagegen hatten, wenn wir uns mit Klatsch abgaben, die aber selbst immer gleich wieder alles vergaßen und sich für das Tun und Treiben ihrer Mitmenschen, soweit sie nicht zur eigenen Familie gehörten, einfach nicht interessierten. »Davey, wie konnte sie?«
»Na ja, Boy sieht doch sehr gut aus«, sagte Davey. »Ich würde eher sagen: Wie konnte er? Aber eigentlich ist es ein Verhältnis aus rein praktischen Erwägungen und für beide sehr bequem. Boy kennt den Gotha und diese Dinge auswendig, als zusätzlicher Butler ist er wunderbar, und umgekehrt macht ihm Sonia das Leben erst interessant. Ich verstehe das vollkommen.«
Ein Trost, dachte ich, dass sich zwischen älteren Menschen nichts weiter abspielen konnte, aber auch das behielt ich für mich, denn ich wusste, dass die Leute nichts so sehr ärgert, wie wenn man glaubt, sie seien zu alt für die Liebe, und Davey war genauso alt wie der Lektor, sie hatten gemeinsam die Schule besucht. Lady Montdore war natürlich noch älter.
»Erzähl uns von Polly«, sagte Tante Emily, »und dann, finde ich, solltet ihr vor dem Tee wirklich noch ein bisschen nach draußen gehen. Ist sie eine Schönheit geworden, wie Sonia immer prophezeit hat?«
»Bestimmt«, sagte Davey, »Sonia bekommt immer, was sie will.«
»So schön – ihr könnt es euch gar nicht vorstellen«, sagte ich. »Und so freundlich, die freundlichste Person, die mir je begegnet ist.«
»Wenn Fanny einmal angefangen hat, für jemanden zu schwärmen …«, sagte Tante Emily belustigt.
»Ich nehme sogar an, das mit der Schönheit stimmt«, sagte Davey, »denn einmal abgesehen davon, dass Sonia alles bekommt, was sie sich wünscht, sehen die Hamptons doch wirklich blendend aus, und schließlich ist das alte Mädchen selbst sehr hübsch. Meiner Ansicht nach hat sie die Linie genetisch sogar gestärkt, sie hat ihr eine gewisse Festigkeit gegeben – Montdore ähnelt zu sehr einem Collie.«
»Und wen soll dieses wunderbare Mädchen denn nun heiraten?«, fragte Tante Emily. »Das ist Sonias nächstes Problem. Ich wüsste nicht, wer für sie je gut genug wäre.«
»Es wird sich schon ein Herzog finden«, sagte Davey, »denn für den Prinzen von Wales ist sie ja wohl zu groß, der mag eher kleine, zierliche Frauen. Wisst ihr, ich glaube, jetzt, da Montdore älter wird, muss es ein schreckliches Gefühl für ihn sein, dass er ihr Hampton nicht vermachen kann. Ich habe mich in der Bibliothek in London neulich lange mit Boy darüber unterhalten. Natürlich, Polly wird sehr reich sein – enorm reich, weil er ihr alles andere hinterlassen kann –, aber da sie Hampton so sehr lieben, ist es wohl doch sehr traurig für sie.«
»Kann er Polly denn die Bilder in Montdore House vermachen? Die fallen doch bestimmt dem ersten Erben zu?«, fragte Tante Emily.
»Auch in Hampton gibt es wunderbare Bilder«, mischte ich mich in das Gespräch. »Allein schon in meinem Schlafzimmer hingen ein Raffael und ein Caravaggio.«
Beide lachten mich aus, und ich war ziemlich gekränkt.
»Ach, liebes Kind, die Gemälde in den Schlafzimmern englischer Landsitze! Aber die in London bilden tatsächlich eine weltberühmte Sammlung, und ich glaube, Polly wird sie alle bekommen. Der junge Mann aus Neuschottland erhält bloß Hampton mit allem, was dazugehört, aber auch Hampton ist eine Schatzkammer, weißt du, die Möbel, das Silber, die Bibliothek – unschätzbare Werte. Boy meinte, sie sollten ihn wirklich mal herüberkommen lassen und ihm etwas Zivilisation vorführen, bevor er allzu transatlantisch wird.«
»Ich habe vergessen, wie alt er eigentlich ist«, sagte Tante Emily.
»Ich weiß es«, sagte ich, »sechs Jahre älter als ich, ungefähr vierundzwanzig. Und er heißt Cedric, genau wie der Kleine Lord Fauntleroy. Als wir klein waren, haben Linda und ich ihn manchmal nachgeschlagen, um zu sehen,
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