Liebe unter kaltem Himmel
diese Gerüchte zur Hälfte von den Anarchisten ausgestreut, das steht fest.«
Lady Montdore liebte jeden Menschen königlichen Geblüts. Es war dies ein aufrichtiges, vollkommen uneigennütziges Gefühl, denn sie liebte sie im Exil genauso, wie wenn sie an der Macht waren, und der Hofknicks war der Vollzug dieser Liebe. Wegen ihrer kräftigen Statur glichen ihre Knickse dem anmutigen Sichneigen des Weizens im Winde allerdings nicht ganz. Sie sackte eher zusammen wie ein Kamel und erhob sich dann wie eine Kuh, mit dem Hinterteil zuerst – eine seltsame Darbietung und, so sollte man meinen, für die Darstellerin sehr beschwerlich, aber deren Miene bestätigte diese Vermutung nicht. In ihren Knien krachte es wie Revolverschüsse, doch ihr Lächeln war himmlisch.
Ich war als einzige unverheiratete Frau eingeladen, vor dem Ball in Montdore House zu speisen. Die Dinnergesellschaft bestand aus vierzig Gästen, darunter ein außerordentlich vornehmer Sir und eine ebenso vornehme Madam, derentwegen jeder auf die Minute pünktlich kam, sodass alle Gäste gleichzeitig eintrafen und die Menge der Schaulustigen in der Park Lane reichlich Gelegenheit zu ausgiebigen Blicken in die hintereinander wartenden Wagen hatte. Meiner war das einzige Taxi.
Oben folgte dann ein zweites langes Warten ohne Cocktails, bei dem auch Personen wie Mrs Chaddesley Corbett, die sonst durch nichts zu erschüttern waren, mit der Zeit unruhig wurden, als seien sie einer unerträglichen Belastungsprobe ausgesetzt; sie standen herum und flöteten mit ihren modischen Stimmchen Dummheiten in die Welt. Zuletzt kam der Butler zu Lord Montdore hinauf und flüsterte ihm etwas zu, worauf Lord und Lady Montdore sich nach unten in die Empfangshalle begaben, um ihre hohen Gäste zu begrüßen, während wir anderen, angeführt von Boy, uns zu einem Halbkreis aufstellten. Sehr langsam führte Lady Montdore den erhabenen Sir und die ebenso erhabene Madam in dem Halbkreis herum und stellte vor – in jenem leisen, ehrfürchtigen und dennoch deutlich hörbaren Ton, in dem meine Tanten im Gottesdienst respondierten. Dann begaben sich die vier, Arm in erhabenem Arm, immer noch sehr langsam durch die Doppeltür in den Speisesaal und überließen es uns, wieder zur Ruhe zu kommen und ihnen zu folgen. Alles lief wie am Schnürchen.
Bald nach dem Dinner, das lange Zeit in Anspruch nahm und den Gipfel, die Spitze und die Krone der Hampton-Kost bot, trafen die ersten Gäste zum Ball ein. Lady Montdore in Goldlamé mit vielen Diamanten und ihrem berühmten rosa Diamantendiadem, Lord Montdore, herzlich, würdig, die langen, dünnen Beine in Seidenstrümpfe und Bundhosen gewandet, den Hosenbandorden um eines von ihnen geschlungen, das dazugehörige Ordensband auf dem Hemd, zwischen einem Dutzend an seiner Brust baumelnder Miniaturorden, und Polly, angetan mit ihrem weißen Kleid und ihrer Schönheit, standen eine gute Stunde Hände schüttelnd am Kopf der Treppe, und es war ein sehr schöner Anblick, wie die Leute an ihnen vorbeiströmten. Lady Montdore hatte Wort gehalten und nur sehr wenige Mädchen und noch weniger Mamas eingeladen. Die Gäste waren also weder zu jung noch zu alt, sondern in ihren besten Jahren und gereichten dem festlichen Anlass zur Zierde.
Niemand forderte mich zum Tanz auf. Es waren keine Mädchen, aber auch nur sehr wenige junge Männer zum Ball eingeladen worden, außer solchen, die fest zur Gruppe der Jungverheirateten gehörten, aber ich sah auch gern zu, und da niemand dort war, den ich kannte und der sich meiner hätte annehmen können, fühlte ich mich durchaus nicht unbehaglich. Trotzdem freute ich mich, als die Alconleighs mit Louisa und Linda und deren Männern zusammen mit Tante Emily und Davey, wie sie es bei Partys immer taten, nach einem gemeinsamen Abendessen frühzeitig auftauchten. Ich gesellte mich zu ihnen, und wir bezogen eine Position in der Bildergalerie, von wo aus wir einen guten Blick auf das Geschehen hatten. Auf der einen Seite lag der Ballsaal, auf der anderen der Speisesaal, und es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, aber nie entstand ein Gedränge, sodass wir die Kleider und die Juwelen sehr gut sehen konnten. Hinter uns hing ein Heiliger Sebastian von Correggio mit dem üblichen beseligten Lächeln auf den Lippen.
»Fürchterlicher Kitsch«, sagte Onkel Matthew, »der Kerl würde nicht grinsen, mit all den Pfeilen im Leib wäre der längst tot.«
An der Wand gegenüber hing der Botticelli der Montdores, von dem
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