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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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wissen, dass er mit einer anderen tanzte und flirtete, und daran, dass es jetzt fast noch trauriger war, da sie sich um nichts anderes mehr kümmern konnte als das Befinden ihrer Leber.
    Ich wusste von Davey (»Was für ein Glück«, sagte Linda manchmal, »dass Davey so ein altes Klatschmaul ist, was wären wir für ahnungslose Gänse, wenn wir ihn nicht hätten!«), dass Lady Patricia Boy schon mehrere Jahre geliebt hatte, bevor er ihr endlich einen Heiratsantrag machte, und dass sie damals schon alle Hoffnung aufgegeben hatte. Und wie kurz war ihr Glück gewesen, kaum sechs Monate hatte es gedauert, bevor sie ihn mit einem Küchenmädchen im Bett fand.
    »An Großwild hat sich Boy nie herangewagt«, hörte ich Mrs Chaddesley Corbett einmal sagen, »er hat immer nur die Kaninchen umgelegt, und jetzt ist er natürlich ein Witz.«
    Es war sicher schrecklich, mit einem Witz verheiratet zu sein.
    Wenig später sagte sie zu Tante Sadie: »Wann war der erste Ball, zu dem du hier warst?«
    »Es muss in demselben Jahr gewesen sein, in dem ich eingeführt wurde, 1906, ich kann mich noch erinnern, wie aufregend ich es fand, König Edward mit eigenen Augen zu sehen und sein lautes ausländisches Lachen zu hören.«
    »Vierundzwanzig Jahre ist das jetzt her«, sagte Lady Patricia, »kurz danach haben Boy und ich geheiratet. Weißt du noch, wie die Leute im Krieg immer gesagt haben, so etwas werde es nie wieder geben, und jetzt sieh dich mal um! Sieh dir die Juwelen an!«
    Als bald darauf Lady Montdore in Sicht kam, meinte sie: »Weißt du, Sonia ist wirklich phänomenal. Ich bin überzeugt, sie sieht heute besser aus als je zuvor in ihrem Leben, und sie ist besser angezogen.«
    Wieder eine von diesen Alte-Leute-Bemerkungen, die ich nie verstand. Ich fand nicht, dass man Lady Montdore als gut aussehend oder gut angezogen bezeichnen konnte; zunächst einmal und vor allem war sie alt. Andererseits ließ sich nicht leugnen, dass sie bei Anlässen wie diesem beeindruckend wirkte, sie war buchstäblich übersät von großen Diamanten – das Diadem, die Halskette, die Ohrringe, ein großes Pfalzgrafenkreuz auf dem Busen, über ihren Wildlederhandschuhen Armreife vom Handgelenk bis zum Ellbogen und Broschen überall, wo noch Platz war. Angetan mit so herrlichen Juwelen, strahlte ihre ganze Erscheinung inmitten der äußeren Zeichen von »all dem hier« die von ihr selbst so tief empfundene Erhabenheit aus, und sie glich einem Stierkämpfer in der Arena seiner Heimatstadt, einem Götterbild im eigenen Heiligtum, sie war der Grund für das Schauspiel und sein wahrer Mittelpunkt.
    Onkel Matthew war der Botschafterin mit einer tiefen Verbeugung, die seinen ganzen Abscheu zum Ausdruck brachte, entkommen und kehrte jetzt zu seinen Angehörigen zurück.
    »Alte Kannibalin«, sagte er, »verlangte immer noch mehr ›Fleisch‹. Kann noch keine Stunde her sein, dass sie ihr Dinner verschlungen hat – habe einfach so getan, als würde ich nichts hören, wollte dieser Gefräßigkeit nicht noch Vorschub leisten – wer hat den Krieg denn nun gewonnen? Und wozu, möchte ich mal wissen. Wirklich sehr großherzig von Montdore, dass er dieses Ausländerpack in seinem Haus duldet – ich wäre längst geplatzt. Seht euch doch nur mal diesen Gulli an!« Er funkelte in die Richtung eines Sir mit blauem Kinn, der, Polly am Arm führend, dem Speisesaal zustrebte.
    »Ach, Matthew«, sagte Davey, »die Serben waren doch unsere Verbündeten.«
    »Verbündete!«, meinte Onkel Matthew und knirschte mit den Zähnen. Das Wort war für ihn ein rotes Tuch, der boshafte Davey wusste es und hatte zum Spaß damit gewedelt.
    »Das ist also ein Serbe, ja? Genau wie man ihn sich vorstellt, soll sich mal rasieren lassen. Ferkel, alle, wie sie da sind. Montdore lädt sie natürlich nur aus Liebe zu England ein. Ich bewundere diesen Kerl, denkt immer nur an seine Pflicht – vorbildlich!«
    Ein mattes Lächeln glitt über Lady Patricias Gesicht. Sie hatte durchaus Sinn für Humor und gehörte zu den wenigen Menschen, die Onkel Matthew mochte, wenngleich er es nicht über sich brachte, gegen Boy höflich zu sein. Wütend starrte er jedes Mal Löcher in die Luft, wenn Boy an unserer kleinen Versammlung vorüberkam, was ziemlich häufig geschah, und jedes Mal hatte Boy eine alte Dame von königlichem Geblüt am Arm, die er zum Supper begleitete. Das Schlimmste der vielen Vergehen, die Boy sich in den Augen von Onkel Matthew hatte zuschulden kommen lassen, bestand darin,

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