Liebe unter kaltem Himmel
wir uns vorher umzogen, in dem kleinen Morgenzimmer, wo sie ihre Mahlzeiten immer dann einnahmen, wenn sie zu weniger als acht Personen waren. Dieser Raum war vielleicht der vollkommenste im ganzen Haus. Man hatte ihn, so wie er war, aus Frankreich herübergebracht, komplett ausgekleidet mit einer kunstvoll geschnitzten, blau und weiß bemalten Holztäfelung; gegenüber den drei Terrassentüren standen drei Schränke, gefüllt mit Porzellan aus dem achtzehnten Jahrhundert. Über den Schränken, den Fenstern und Türen waren sehr dekorative Gemälde von Boucher direkt in die Täfelung eingelassen.
Das Gespräch bei Tisch drehte sich um den Ball, den Lady Montdore im Londoner Montdore House für Polly geben wollte.
»Ich denke, am 1. Mai«, sagte sie.
»Sehr gut«, sagte Boy, »es muss entweder der erste oder der letzte Ball der Saison sein, damit die Leute ihn nicht vergessen.«
»Oh, nicht der letzte, auf gar keinen Fall. Dann müsste ich all die Mädchen einladen, auf deren Bällen Polly vorher gewesen ist, und nichts ist so fatal wie ein Ball mit zu vielen Mädchen.«
»Aber wenn du sie nicht einlädst«, meinte Lady Patricia, »werden sie dann Polly einladen?«
»Aber ja«, sagte Lady Montdore, »sie werden sich um sie reißen. Ich kann mich auf andere Weise bei ihnen revanchieren. Im Übrigen habe ich nicht vor, Polly allzu viel in der Debütantinnenwelt herumzuführen (all diese furchtbaren Partys in Südwestirgendwo), ich sehe nicht, welchen Sinn das haben soll. Es würde sie nur erschöpfen, und sie würde eine Menge unpassender Leute kennenlernen. Ich werde sie nicht mehr als zwei Bälle in der Woche besuchen lassen, sorgfältig ausgesucht. Das genügt völlig für ein Mädchen, das nicht sehr belastbar ist. Boy, ich habe gedacht, du könntest mir nachher vielleicht helfen, eine Liste von den Frauen aufzustellen, die während unseres Aufenthalts in London Dinners veranstalten könnten. Es muss natürlich von vornherein klar sein, dass sie nur Leute einladen, die ich ihnen nenne; ihre Freunde und Verwandten lasse ich mir nicht aufhalsen.«
Nach dem Essen kehrten wir in die Lange Galerie zurück. Boy nahm seine Petit-Point-Stickerei vor, während wir drei Frauen müßig dasaßen. Er besaß eine Begabung für Handarbeiten und hatte einige Betttücher für das Puppenhaus der Königin gesäumt und viele Stühle in Silkin und Hampton mit Bezügen versehen. Er arbeitete gerade an einem Kaminschirm für die Lange Galerie, den er selbst entworfen hatte, mit einem ausgreifenden jakobitischen Muster, das angeblich von Blumen aus dem Garten von Lady Montdore angeregt war, aber diese Blumen glichen eher abscheulichen Rieseninsekten. Ich war jung und voller Vorurteile, und nie wäre es mir in den Sinn gekommen, seine Arbeit zu bewundern. Ich dachte nur, wie grässlich der Anblick eines stickenden Mannes sei und wie abscheulich er aussah, den ergrauten Kopf über den Kanevas gebeugt, in den er sehr geschickt verschiedene Khakitöne einzog. Er hatte ebenso dichtes, dickes Haar wie ich, und ich wusste, dass die munteren (Boy-haften) Löckchen darin vor dem Essen sorgfältig angefeuchtet und eingedreht worden sein mussten.
Lady Montdore hatte sich Papier und Stift kommen lassen, um die Namen der Dinnergastgeberinnen zu notieren. »Wir schreiben alle auf, die infrage kommen, und dann wird gesiebt«, sagte sie. Aber bald legte sie den Stift beiseite, um sich über Polly zu beklagen. Ich hatte sie schon einmal über dieses Thema sprechen hören, als sie sich mit Mrs Chaddesley Corbett unterhielt, aber diesmal klang ihre Stimme noch viel schärfer und verdrießlicher.
»Man tut alles für diese Mädchen«, sagte sie, »alles. Ihr glaubt es vielleicht nicht, aber ich bringe den halben Tag damit zu, Pläne für Polly zu machen – Verabredungen, Kleider, Partys und so weiter. Mir bleibt keine Minute, mich um meine eigenen Freunde zu kümmern, seit Monaten habe ich die Karten kaum angerührt. Meine Kunst habe ich völlig aufgegeben – ausgerechnet, als ich gerade an diesem Akt mit dem Mädchen aus Oxford arbeitete – und widme mich ganz und gar diesem Kind. Das Londoner Haus halte ich offen, bloß damit sie es bequem hat. Ihr wisst, ich hasse London im Winter, und Montdore käme mit zwei Zimmern ohne Köchin gut aus (das viele kalte Essen im Klub), stattdessen habe ich dort ein riesiges Personal, das mir die Haare vom Kopf frisst – bloß ihretwegen. Aber meint ihr vielleicht, sie wäre mir dafür dankbar? Nicht im
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