Liebe unter kaltem Himmel
Geringsten. Grantig und unausstehlich ist sie, und ich bekomme kaum ein Wort aus ihr heraus.«
Die Dougdales sagten nichts. Er prüfte sehr konzentriert sein Wollgarn, und Lady Patricia hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen, und litt, wie sie seit Langem litt, schweigend. Mehr denn je glich sie einer Gartenstatue, ihre Haut und ihr beiges Londoner Kleid hatten exakt die gleiche Farbe, und ihr armes Gesicht war von Schmerz und Gram zerfurcht, eine Miene wie aus einer antiken Tragödie.
Lady Montdore fuhr fort, ihr Herz auszuschütten, und redete dabei so, als wäre ich gar nicht da.
»Ich gebe mir unendliche Mühe, dass sie nette Häuser besuchen und dort zu Gast sein kann, aber nie scheint es ihr Spaß zu machen, sie kommt heim und beklagt sich in einem fort, und wenn man sie selbst fragt, will sie immer nur nach Alconleigh und zu Emily Warbeck. Beides reine Zeitverschwendung! Alconleigh ist ein Irrenhaus – natürlich, ich liebe Sadie, das tut ja jeder, ich finde sie wunderbar, die Ärmste, und sie ist nicht schuld daran, dass sie alle diese exzentrischen Kinder hat – sie hat getan, was sie konnte –, aber da schlägt eben der Vater durch. Und damit ist wohl alles gesagt. Ich freue mich auch immer, wenn das Kind bei Fanny ist, Emily und Davey kennt man ja seit ewigen Zeiten – Emily war unsere Brautjungfer, und bei dem ersten Kostümumzug, den ich in meinem Leben organisiert habe, war Davey ein Elf –, aber dort lernt Polly nie jemanden kennen, und wenn sie keine Leute kennenlernt, wie soll sie sie dann heiraten?«
»Ist es denn so eilig mit dem Heiraten?«, fragte Lady Patricia.
»Also weißt du, im Mai wird sie zwanzig, und so kann es doch nicht ewig weitergehen. Was soll sie denn tun, wenn sie nicht heiratet, ohne Interessen, ohne Beschäftigung? Kunst, Reiten, Geselligkeit – das interessiert sie alles nicht. Sie hat kaum Freunde in der Welt – könnt ihr mir sagen, wie Montdore und ich an so ein Kind geraten sind –, also, wenn ich daran zurückdenke, wie ich in ihrem Alter war. Ich weiß noch genau, wie Mr Asquith zu mir sagte, ihm sei noch nie ein Mädchen mit so viel Talent zum Improvisieren begegnet.«
»Ja, du warst wunderbar«, sagte Lady Patricia mit einem leichten Lächeln. »Aber vielleicht entwickelt sie sich einfach langsamer als du damals, und du sagst ja selbst, sie ist noch keine zwanzig. Es ist doch bestimmt nett, wenn sie noch ein, zwei Jahre zu Hause wohnt, oder?«
»Es ist nun mal so«, erwiderte ihre Schwägerin, »dass junge Mädchen in diesem Alter überhaupt nicht nett sind, sie sind einfach unausstehlich. Solange sie süße, nütliche Kinder sind, denkt man, es muss herrlich sein, wenn sie einem später Gesellschaft leisten, aber leistet uns Polly etwa Gesellschaft? Sie verträumt ihre Zeit, ist entweder schlecht gelaunt oder erschöpft, interessiert sich für gar nichts, und was sie braucht, ist ein Mann. Sobald sie verheiratet ist, werden wir wieder wunderbar miteinander auskommen, ich habe das so oft erlebt. Neulich sprach ich mit Sadie, und sie war der gleichen Meinung, sie hat mir erzählt, wie schwer sie es zuletzt auch mit Linda hatte – Louisa war natürlich nie ein Problem, sie war umgänglicher, und sie hat ja auch direkt nach der Schule geheiratet. Eins kann man von den Radletts wirklich sagen, wenn es ums Heiraten geht, lassen sie nichts anbrennen, auch wenn dabei nicht unbedingt die Verbindungen herauskommen, die man sich für sein eigenes Kind wünschen würde. Ein Bankier und ein klappriger schottischer Peer – trotzdem, sie sind verheiratet. Was ist bloß mit Polly? So schön und überhaupt kein Boy-Appeal?«
»Es heißt Sex-Appeal«, meinte Lady Patricia schwach.
»Als wir jung waren, gab es das alles nicht, Gott sei dank. Sex-Appeal oder Boy-Appeal, so ein Unfug – entweder man war eine Schönheit oder eine jolie-laide , und damit hatte es sich. Aber da sie ihn nun mal erfunden haben, ist es wahrscheinlich besser, wenn die Mädchen ihn besitzen, ihren Partnern scheint er zu gefallen, aber Polly hat keine Spur davon, das kann man sehen. Dass es im Leben so anders kommen kann«, sagte sie mit einem Seufzen, »als man es erwartet! Seit ihrer Geburt, weißt du, habe ich mir immer Sorgen gemacht und mich aufgeregt, habe mir die schrecklichsten Dinge ausgemalt, die ihr zustoßen könnten – dass Montdore sterben würde, bevor sie versorgt wäre, und wir kein ordentliches Haus hätten, dass sich ihr gutes Aussehen verlieren würde oder dass sie
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