Liebe unter kaltem Himmel
Onkel Matthew sagte, er würde keine sieben Shilling Sixpence dafür geben, und als Davey ihn auf eine Zeichnung von Leonardo aufmerksam machte, erklärte er, es jucke ihn in seinen Fingern nach einem Radiergummi.
»Ich habe mal ein Bild gesehen«, sagte er, »Zugpferde im Schnee, nur die schweren Tiere und ein Stück kaputter Zaun. Es war verflucht gut – bei Army & Navy. Wäre ich ein reicher Mann, dann hätte ich es gekauft – verstehst du, man konnte wirklich sehen, wie die armen Viecher gefroren haben müssen. Wenn dieser ganze Quatsch hier wertvoll sein soll, muss das Pferdebild ein Vermögen wert gewesen sein.«
Onkel Matthew, der abends nie ausging, und schon gar nicht auf Bälle, hatte die Einladung nach Montdore House auf keinen Fall ablehnen wollen, obwohl Tante Sadie, die wusste, wie schwer es ihm fiel, nach dem Dinner wach zu bleiben, und wie ihm die armen Augen vor Müdigkeit immer wieder zufielen, gesagt hatte: »Wirklich, Liebling, da bei unseren Töchtern gerade eine Pause eingetreten ist, zwei sind verheiratet, zwei noch nicht eingeführt, besteht eigentlich kein Anlass, dass wir hingehen, es sei denn, du willst unbedingt. Sonia hätte volles Verständnis – und sie wäre froh über den zusätzlichen Platz, da bin ich sicher.«
Aber Onkel Matthew hatte mit düsterer Miene erwidert: »Wenn Montdore uns zu seinem Ball einlädt, dann will er uns auch sehen. Ich denke, wir sollten gehen.«
So hatte er sich denn unter gewaltigem Ächzen in die Bundhosen seiner Jugend gezwängt, die inzwischen so gefährlich eng geworden waren, dass er es kaum wagte, sich hinzusetzen, sondern wie ein Storch neben dem Stuhl von Tante Sadie stand. Tante Sadie hatte all ihre Diamanten von der Bank geholt, hatte einige davon Linda und einige Tante Emily geliehen, aber immer noch eine Menge für sich behalten, und nun plauderten sie hier fröhlich mit ihren Verwandten und verschiedenen Bekannten aus der Grafschaft, die kamen und gingen, und sogar Onkel Matthew schien sich ganz gut zu amüsieren, bis ihn ein furchtbarer Schicksalsschlag traf – er musste die deutsche Botschafterin zu Tisch führen. Das kam so: Lord Montdore, der direkt hinter Onkel Matthew stand, rief plötzlich erschrocken: »Gütiger Himmel, da sitzt die deutsche Botschafterin ganz allein!«
»Geschieht ihr recht«, zischte Onkel Matthew. Es wäre klüger gewesen, den Mund zu halten. Lord Montdore hörte ihn nämlich sprechen, ohne zu verstehen, was er gesagt hatte, drehte sich plötzlich um, sah, wer da gesprochen hatte, und ergriff seinen Arm.
»Mein lieber Matthew, genau der Richtige – Baronin von Ravensbrück, darf ich Ihnen meinen Nachbarn vorstellen? Lord Alconleigh. Das Mahl ist gerichtet, im Musikzimmer – du kennst den Weg, Matthew.«
Welchen Einfluss Lord Montdore bei Onkel Matthew besaß, konnte man daran ermessen, dass mein Onkel nicht auf der Stelle kehrtmachte und heimwärts stürmte. Niemand sonst hätte ihn dazu gebracht, zu bleiben, einer Hunnin die Hand zu geben, ihr dann auch noch den Arm zu reichen und sie zu Tisch zu führen. Aber mit einem finsteren Blick über die Schulter zurück zu seiner Frau machte er sich auf den Weg.
Lady Patricia näherte sich, setzte sich zu Tante Sadie, und sie tauschten ziemlich sprunghaft lokale Neuigkeiten aus. Anders als ihr Gatte ging Tante Sadie gern aus, sofern es nicht zu oft geschah, sofern es nicht zu spät wurde und sofern sie friedlich zuschauen konnte und nicht das Gefühl zu haben brauchte, sie müsse zur Konversation beitragen. Fremde langweilten und ermüdeten sie; sie fühlte sich nur wohl in der Gesellschaft von Leuten, mit denen sie durch alltägliche Interessen verbunden war, Nachbarn auf dem Land oder Angehörige ihrer eigenen Familie, und selbst wenn sie mit diesen sprach, war sie meistens ziemlich geistesabwesend. Aber diesmal war es Lady Patricia, die ein bisschen in den Wolken zu schweben schien, Tante Sadie immer nur mit Ja und Nein antwortete und schließlich meinte, es sei einfach ungeheuerlich, dass der Dorfidiot von Skilton wieder draußen sei, jetzt wo jeder wisse, was für ein guter Läufer er sei, nachdem er die hundert Yards in der Anstalt gewonnen hatte.
»Und immer ist er hinter den Leuten her«, sagte Tante Sadie empört.
Aber die Gedanken von Lady Patricia waren nicht bei dem Idioten. Sicher dachte sie an Partys, die sie als junge Frau in diesen gleichen Räumen erlebt hatte, daran, wie sie den Lektor damals angebetet hatte, wie es sie gequält hatte, zu
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