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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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der Geduldsfaden, und ihre Stimme geriet außer Kontrolle. Ich empfand mit ihr, und sie tat mir wirklich leid, denn es war völlig klar, dass Polly sie absichtlich provozierte.
    »So kann es nicht weitergehen, das ist einfach albern.«
    Polly erwiderte nichts. Sie legte den Kopf schräg und tat so, als hätte sie sich in die für sie auf dem Kopf stehenden Schlagzeilen der Abendzeitung vertieft, die auf einem Stuhl neben ihrer Mutter lag. Ebenso gut hätte sie laut sagen können: »Du abscheuliches, vulgäres Weib, nur weiter so, mir ist es gleichgültig, ich will von dir nichts wissen«, so unmissverständlich war ihr Gebaren.
    »Hör bitte zu, wenn ich mit dir rede, Polly.«
    Polly schielte weiter nach den Schlagzeilen.
    »Polly, würdest du jetzt bitte zuhören.«
    »Was hast du gerade gesagt? Etwas über Mr Fleetwood?«
    »Jetzt lass Mr Fleetwood mal für einen Moment aus dem Spiel. Ich möchte von dir wissen, was du mit deinem Leben anzufangen gedenkst. Hast du die Absicht, für immer hier im Haus zu wohnen und vor dich hin zu träumen wie bisher?«
    »Was soll ich denn sonst tun? Für eine Berufskarriere hast du mich ja nun nicht gerade erzogen, oder?«
    »O doch, das habe ich! Ich habe dich für die Ehe erzogen, und das ist meiner Ansicht nach (vielleicht bin ich ja altmodisch) immer noch die beste Berufskarriere für jede Frau.«
    »Alles gut und schön, aber wie soll ich heiraten, wenn niemand um meine Hand anhält?«
    Natürlich, das war bei Lady Montdore der wunde Punkt: dass sich niemand um Polly bewarb. Eine ausgelassene, kokette Polly, inmitten von passablen Freiern, die sie, tändelnd und neckisch, gegeneinander ausspielte, eine Polly, die von verheirateten Männern begehrt wurde und die Romanzen ihrer Freundinnen verwirrte – diesem Spiel hätte Lady Montdore, wenn es sein musste, gern ein paar Jahre zugesehen, solange erkennbar war, dass sich Polly am Ende einen passenden, vornehmen Mann aussuchen und mit ihm einen Hausstand gründen würde. Was ihrer Mutter so zu schaffen machte, war der Umstand, dass diese allseits anerkannte Schönheit womöglich überhaupt keine Anziehung auf das männliche Geschlecht ausübte. Die »ältesten Söhne« sahen einmal hin, sagten: »Ist sie nicht schön?« und zogen mit einem der kinn- und willenlosen Geschöpfe vom Cadogan Square ab. In letzter Zeit hatte es drei oder vier solcher Verlobungen gegeben. Sie hatten Lady Montdore sehr bestürzt.
    »Und warum halten sie nicht um deine Hand an? Weil du sie nicht ermutigst! Kannst du nicht ein bisschen fröhlicher und netter zu ihnen sein, kein Mann will sich mit einer Schaufensterpuppe ins Bett legen, das ist einfach entmutigend, verstehst du.«
    »Vielen Dank, ich will nicht, dass sich jemand zu mir ins Bett legt.«
    »Aber liebes Kind! Was willst du denn dann?«
    »Lass mich in Ruhe, Mutter, bitte!«
    »Hier wohnen, bis du alt bist?«
    »Daddy würde es nichts ausmachen.«
    »O doch, es würde ihm etwas ausmachen, täusch dich da nicht! Ein, zwei Jahre würde es ihm vielleicht nichts ausmachen, aber am Ende doch. Niemand will, dass die eigene Tochter sitzen bleibt und als alte Jungfer versauert, und du würdest versauern, das ist schon jetzt unübersehbar, meine Liebe, verhutzeln und versauern würdest du.«
    Ich traute meinen Ohren nicht; war das wirklich Lady Montdore, die in diesem hemmungslosen Ton zu ihrem Ein und Alles sprach, zu Polly, der sie aus lauter Liebe ohne Weiteres verziehen hatte, dass sie eine Tochter und kein Erbe war? Ich fand es erschreckend, und es lief mir kalt den Rücken herunter. Nun trat eine lange, unbehagliche Stille ein, die erst durch das ruckartige Schlurfen von Frankensteins Monster unterbrochen wurde, das sich zur Tür hereinschob und erklärte, der König von Portugal sei am Apparat. Lady Montdore stapfte davon, während ich die Gelegenheit nutzte und die Flucht ergriff.
    »Ich hasse sie«, sagte Polly, als sie mir zum Abschied einen Kuss gab. »Ich hasse sie und wollte, sie wäre tot. Oh, Fanny, sei froh, dass dich nicht deine eigene Mutter großzieht – beneidenswert, du ahnst nicht, wie schrecklich eine solche Beziehung sein kann.«
    »Arme Polly«, sagte ich bestürzt. »Wie traurig. Aber als du klein warst, da war es doch nicht schrecklich, oder?«
    »Immer, immer war es schrecklich. Ich habe sie immer aus tiefstem Herzen gehasst.«
    Ich glaubte ihr nicht.
    »Sie ist doch nicht immer so?«, fragte ich.
    »Noch schlimmer, viel schlimmer. Sieh zu, dass du fortkommst, Liebe, sonst

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