Liebe unter kaltem Himmel
»Ach, eins noch – ihr werdet ja nun endlich seinen richtigen Namen hören, schreibt ihn doch bitte für mich auf, ich wollte ihn schon immer wissen, damit ich ihn in eine Schublade legen kann.«
Zu Onkel Matthews abergläubischen Lieblingsideen gehörte auch die Vorstellung, wenn er den Namen von jemandem aufschrieb und das Blatt in eine Schublade legte, dann würde dieser Mensch noch im gleichen Jahr sterben. Die Schubladen in Alconleigh waren voll von Zetteln mit den Namen derer, die mein Onkel aus dem Weg schaffen wollte, Leute, die er privat hasste, und verschiedene Gestalten des öffentlichen Lebens wie Bernard Shaw, de Valera, Gandhi, Lloyd George und der Kaiser, und in jeder Schublade in Alconleigh fand sich außerdem der Name von Lindas altem Hund, Labby. Aber der Zauber schien fast nie zu wirken, und sogar Labby hatte die normale Lebenserwartung eines Labradors weit überschritten, aber Onkel Matthew ließ die Hoffnung nicht sinken, und wenn der natürliche Gang der Dinge tatsächlich einmal eine der von ihm benannten Gestalten dahinraffte, lief er ein paar Tage mit zufriedenem und zugleich schuldbewusstem Gesicht herum.
»Vermutlich haben wir alle seinen Namen schon einmal gehört, als er Patricia geheiratet hat«, sagte Tante Sadie und sah zu Davey hinüber, »aber ich kann mich nicht erinnern, weißt du ihn noch? Ich habe nur so eine dunkle Ahnung, dass es einer von diesen Namen war, die auch als Nachname vorkommen, Stanley oder Norman. Ach, eine Ewigkeit ist das her! Arme Patricia, was sie jetzt wohl denkt?«
»Hat sie auch in der Kapelle in Hampton geheiratet?«, fragte ich.
»Nein, in London, und ich überlege gerade, in welcher Kirche. Lord Montdore und Sonia haben natürlich in der Abtei von Westminster geheiratet. Ich erinnere mich noch gut daran, weil Emily als Brautjungfer ging, während ich vor Eifersucht fast geplatzt wäre, meine Nanny nahm mich mit, aber wir standen draußen, weil Mama der Meinung war, wir würden dort mehr sehen, als wenn wir drinnen hinter einem Grabmal steckten. Es war fast wie bei einer königlichen Hochzeit. Als Patricia dann heiratete, war ich natürlich längst eingeführt – St. Margaret’s in Westminster, glaube ich, ja, ich bin fast sicher, dort war es. Ich weiß noch, wie wir sie alle furchtbar alt für eine weiße Hochzeit fanden, dreißig oder irgend so etwas Schreckliches.«
»Aber schön war sie«, sagte Davey.
»Genau wie Polly, obwohl ihr natürlich das besondere Etwas fehlte, das Polly zu einer so strahlenden Schönheit macht. Ich möchte bloß wissen, warum sich diese beiden schönen Frauen an den alten Lektor weggeworfen haben – es ist so unnatürlich.«
»Armer Boy«, sagte Davey mit einem tiefen Seufzer voller Mitgefühl.
Davey, der sich seit dem Ende seiner Kur wieder in Kent bei Tante Emily aufgehalten hatte, war nach Alconleigh zurückgekehrt, um dem Bräutigam als best man bei der Vorbereitung der Hochzeit zu helfen. Er habe Patricia zuliebe eingewilligt, sagte Davey, aber in Wirklichkeit, so vermute ich, weil er die Hochzeit um keinen Preis versäumen wollte; es war ihm auch sehr recht, dass er auf diese Weise einen Vorwand hatte, ständig zwischen Silkin und Hampton unterwegs zu sein, und mit eigenen Augen sehen konnte, was in diesen beiden vom Schicksal schwer getroffenen Häusern vor sich ging.
Polly war nach Hampton zurückgekehrt. Um eine Aussteuer hatte sie sich nicht im Geringsten gekümmert, und da ihre Verlobung und die Heirat gleichzeitig in der Times angezeigt werden sollten – »… Feier fand in aller Stille statt, wegen eines Trauerfalles in Hampton Park« (um solche Feinheiten hatte sich Davey gekümmert) –, brauchte sie keine Briefe zu schreiben und hatte keine Geschenke auszupacken, und es gab nichts von dem zu tun, was gewöhnlich vor einer Hochzeit zu tun ist. Lord Montdore hatte auf einer Unterredung zwischen ihr und seinem Anwalt bestanden, der eigens von London anreiste, um ihr in aller Form zu erklären, dass alles, was ihr Vater in seinem Testament für sie und ihre Kinder vorgesehen hatte, nämlich Montdore House und Graigside Castle nebst Inventar, der Grundbesitz in Northumberland mit den Kohlengruben, der wertvolle umfangreiche Immobilienbesitz in London, einige Docks und etwa zwei Millionen Pfund Sterling, nun an den einzigen männlichen Erben ihres Vaters fallen würden, an Cedric Hampton. Normalerweise hätte er nur Hampton selbst sowie Lord Montdores Titel geerbt, aber infolge dieses neuen Testaments
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