Liebe unter kaltem Himmel
Floristengeschmack arrangiert. Mich überkam eine tiefe Traurigkeit. Die Musik von Bach und die Blumen weckten melancholische Gedanken – von welcher Seite man diese Hochzeit auch betrachtete, es war eine deprimierende Sache.
Boy und Davey kamen den Mittelgang entlang, und Boy gab uns die Hand. Seine Erkältung war er offenbar endlich los. Er sah sehr gut aus; mir fiel auf, dass seinem Haar die Aufmerksamkeit eines nassen Kammes zuteilgeworden war, der es in leichte Wellen gelegt und ein paar Löckchen hervorgekitzelt hatte, und seine Figur, die durchaus stattlich wirkte, vor allem von hinten, kam in seinem Hochzeitsanzug ausgezeichnet zur Geltung. Er hatte eine weiße Nelke angesteckt und Davey eine rote. Aber obgleich er im Kostüm des Bräutigams erschien, fehlte ihm doch der Schwung, die neue Rolle seinem Repertoire einigermaßen überzeugend einzuverleiben, und seine ganze Haltung glich eher der eines Trauernden. Davey musste ihm sogar zeigen, wo er vor dem Altar zu stehen hatte. Nie habe ich einen Mann gesehen, der so verzweifelt dreinblickte.
Mit äußerst missbilligender Miene bezog nun auch der Geistliche seine Position. Wenig später deutete eine Bewegung links von uns darauf hin, dass Lady Montdore den Familienstuhl betreten hatte, der über einen eigenen Eingang verfügte. Es war unmöglich, ausgiebige Beobachtungen anzustellen, aber einen verstohlenen Blick riskierte ich. Sie sah aus, als würde sie sich im nächsten Augenblick übergeben. Boy warf auch einen Blick hinüber, und danach konnte man ihm sogar von hinten anmerken, dass er sich am liebsten zu ihr geschlichen hätte, um ein ausgiebiges Schwätzchen zu halten. Seit sie zusammen die Briefe der Infantinnen gelesen hatten, hatte er sie nicht mehr gesehen.
Der Organist aus Oxford stellte das Bach-Spiel jetzt ein, nachdem seine Darbietung schon während der letzten Minuten mehr und mehr an Reiz verloren hatte. Ich sah mich um und erblickte Lord Montdore, der im Eingang der Kapelle stand. Er wirkte gleichmütig, gut erhalten, ein Graf aus Pappkarton, und nach seiner Miene zu urteilen, hätte er seine Tochter im nächsten Augenblick ebenso gut den Mittelgang der Abtei von Westminster hinaufführen können, um sie an den König von England zu verheiraten.
»O vollkommene Liebe, die alles Denken übersteigt«, sang ein unsichtbarer Chor von der Empore. Und dann, eine große weiße Hand auf den Arm ihres Vaters gelegt, die betrübte Verlegenheit, die wie ein Dunst in der Kapelle hing, zerteilend, kam Polly den Gang hinauf, gleichmütig, zuversichtlich, vornehm und strahlend vor Glück. Irgendwo hatte sie sich ein Hochzeitskleid besorgt (erkannte ich da ein Ballkleid aus der letzten Saison?) und war in eine Wolke aus Tüll, Maiglöckchen und Freude gehüllt. Die meisten Bräute haben Schwierigkeiten mit der Miene, die sie beim Gang zum Altar aufsetzen, oft blicken sie affektiert oder zu schmachtend oder, was das Schlimmste ist, zu erwartungsfroh drein, aber Polly schwebte einfach auf einer Woge von Glückseligkeit dahin und bot einen Anblick, wie ich im Leben nur selten einen schöneren gesehen habe.
Auf der linken Seite hörte ich ein trockenes, gedämpftes Geräusch, die Tür des Familienstuhls fiel ins Schloss, Lady Montdore war gegangen.
Der Geistliche begann mit der Hochzeitszeremonie, und schließlich fragte er: »Wer gibt diese Frau diesem Manne zur Ehe?« Lord Montdore verbeugte sich, nahm Polly den Blumenstrauß aus der Hand und begab sich in die nächstgelegene Bank.
»Nun sprich mir nach: ›Ich, Harvey, nehme dich, Leopoldina‹.« Ein Seitenblick von Tante Sadie.
Es war bald vorüber. Noch ein Lied, und ich saß allein da, während alle anderen hinter einer Stellwand verschwanden, um sich in das Heiratsregister einzutragen. Dann brach Mendelssohns Hochzeitsmarsch über uns herein, und Polly schwebte hinaus, wie sie hereingekommen war, nur am Arm eines anderen gut erhaltenen, alten Mannes.
Während Polly und Boy sich für die Abreise umzogen, warteten wir in der Langen Galerie, um sie zu verabschieden und nach draußen zu begleiten. Der Wagen würde sie nach Dover bringen, wo sie im »Lord Warden« die Nacht verbringen wollten, um dann am nächsten Tag auf den Kontinent überzusetzen. Irgendwie hatte ich erwartet, Polly würde mich nach oben bitten, um zu plaudern, aber das tat sie nicht, und ich blieb bei den anderen. Ich glaube, sie war so glücklich, dass sie gar nicht recht mitbekam, ob andere Menschen bei ihr waren oder ob sie
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