Liebe unter kaltem Himmel
war Cedric Hampton dazu ausersehen, einer der fünf oder sechs reichsten Männer von England zu werden.
»Und wie nimmt Lord Montdore die Sache auf?«, fragte Tante Sadie, als Davey diese Neuigkeiten von einem Besuch in Hampton mit anschließender Stippvisite bei Boy in Silkin zurückbrachte.
»Unmöglich zu sagen. Sonia geht es sehr schlecht, Polly ist nervös, aber Montdore ist wie immer. Man würde nicht auf die Idee kommen, dass ihm irgendetwas Ungewöhnliches widerfahren ist.«
»Ich wusste schon immer, er ist ein Stockfisch. Aber hast du geahnt, dass er so reich ist, Davey?«
»O ja, einer der Allerreichsten.«
»Komisch, wenn man bedenkt, wie geizig Sonia in kleinen Dingen ist. Was meinst du, wie lange wird er dabei bleiben, ich meine, dass Polly nichts bekommt?«
»So lange, wie Sonia lebt. Ich wette, sie verzeiht nicht, und du weißt ja, wie er unter ihrer Fuchtel steht.«
»Ja. Aber was sagt Boy dazu, dass er nun zusammen mit einer Frau von achthundert Pfund im Jahr leben soll?«
»Es behagt ihm überhaupt nicht. Er denkt daran, Silkin zu vermieten und irgendwo zu leben, wo es billig ist, im Ausland. Ich habe ihm gesagt, er solle mehr Bücher schreiben. Sie verkaufen sich gar nicht so schlecht, weißt du, aber er ist sehr niedergeschlagen, der arme Kerl, sehr.«
»Ich schätze, es wird ihm guttun, mal von hier wegzukommen«, sagte ich.
»Ja, schon«, sagte Davey nachdenklich, »aber …«
»Ich möchte wissen, was Cedric Hampton für ein Mensch ist.«
»Das möchten wir alle – sogar Boy hat davon gesprochen. Anscheinend wissen sie nicht einmal, wo er sich aufhält. Der Vater war ein ziemlich mieser Bursche. Er ging nach Neuschottland, erkrankte und heiratete seine Krankenschwester, eine ältere Kanadierin, die dieses eine Kind bekam, aber der Vater ist inzwischen tot, und man weiß nichts, außer der nackten Tatsache, dass es den Jungen gibt. Montdore hat einen kleinen Betrag für ihn ausgesetzt, der jedes Jahr an eine kanadische Bank überwiesen wird. Findet ihr es nicht auch seltsam, dass er sich nicht mehr für ihn interessiert hat, wo dieser Junge doch eines Tages seinen Namen erben und die einzige Hoffnung für den Fortbestand dieser alteingesessenen Familie sein wird?«
»Wahrscheinlich hat Montdore den Vater gehasst.«
»Ich glaube, er hat ihn überhaupt nicht gekannt. Sie gehören ganz verschiedenen Generationen an – Vetter zweiten Grades oder so etwas. Nein, ich denke, es liegt an Sonia, ich vermute, sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Hampton Polly versagt bleiben würde, und deshalb hat sie einfach so getan, als würde es diesen Cedric gar nicht geben – ihr wisst ja, was für ein Talent sie hat, Dinge zu übersehen, die sie nicht sehen will. Aber jetzt wird sie ihn wohl bald zur Kenntnis nehmen müssen, Montdore will ihn unter den neuen Umständen bestimmt bald sehen.«
»Traurige Vorstellung, nicht wahr, dass in Hampton irgendwann einmal ein vierschrötiger, breitbeiniger Siedler hausen soll!«
»Einfach tragisch!«, sagte Davey. »Die armen Montdores, sie tun mir wirklich leid.«
Irgendwie war mir die materielle Seite der Angelegenheit nie ganz klargeworden, bis Davey diese Einzelheiten und diese Zahlen ins Gespräch brachte, aber jetzt begriff ich, dass »dies alles hier« wirklich etwas Kolossales war, das bald einem völlig fremden Menschen einfach in den Schoß fallen würde.
In Hampton angekommen, wurden Tante Sadie und ich sogleich in die Kapelle geführt, wo wir zunächst allein saßen. Davey machte sich auf die Suche nach Boy. Die Kapelle war ein viktorianischer Bau, der zwischen den Unterkünften für das Personal lag. Der »alte Lord« hatte sie errichtet, und hier standen eine Marmorstatue von ihm in Hosenbandgala und eine von seiner Frau Alice, außerdem gab es ein paar bunte Glasfenster, einen Kirchenstuhl für die Familie, der wie eine Opernloge gebaut war, alles mit rotem Plüsch und Vorhängen, und eine sehr schöne Orgel. Davey hatte einen erstklassigen Organisten aus Oxford engagiert, der uns jetzt mit einigen Bach-Präludien erfreute. Offenbar hatte sich keine der beteiligten Parteien auch nur im Geringsten um den äußeren Rahmen gekümmert. Davey hatte die Musik allein ausgewählt, und anscheinend hatte man dem Gärtner die Frage der Blumen überlassen, die in ihrer Pracht von einer geradezu erschlagenden Wirkung waren. Es handelte sich um die von allen Gärtnern hochgeschätzten, übertriebenen Treibhausblumen, im typischen
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