Liebe unter kaltem Himmel
herüberkam. Ein Weilchen saß er in seiner gewohnten Haltung da, die Fingerspitzen beider Hände zusammengepresst, blickte ins Feuer und begab sich dann sehr bald zu Bett. In den Monaten seit Pollys Hochzeit war er sehr gealtert, er war kleiner geworden, die Kleider schlotterten ihm am Leib, seine Stimme zitterte und hatte einen nörgelnden Klang. Bevor er hinausging, nahm er den Gedichtband und überreichte ihn Cedric, der ihn mit charmanten Dankesbezeugungen entgegennahm und so lange eifrig hineinsah, bis Lord Montdore außer Sichtweite war, um dann rasch zu den Juwelen zurückzukehren.
Ich war damals schwanger und wurde auch bald nach dem Dinner müde. Ich blätterte noch ein bisschen in den Illustrierten und folgte dann dem Beispiel Lord Montdores.
»Gute Nacht«, sagte ich und wandte mich zur Tür. Sie antworteten kaum. Jeder stand jetzt vor einem Spiegel, eine Lampe zu Füßen, und starrte verzückt auf das eigene Bild.
»Findest du, so ist es besser?«, fragte der eine.
»Viel besser«, entgegnete die andere, ohne hinzusehen.
Von Zeit zu Zeit tauschten sie ein Schmuckstück (»Gib mir doch mal die Rubine, lieber Junge.« – »Dürfte ich die Smaragde haben, wenn du mit ihnen fertig bist?«), und das rosa Diadem trug jetzt er; überall auf Sesseln und Tischen und sogar auf dem Fußboden lagen Juwelen verstreut.
»Ich muss dir ein Geständnis machen, Cedric«, sagte sie, als ich gerade den Raum verlassen wollte. »Eigentlich gefallen mir die Amethyste am besten.«
»Oh, ich liebe Amethyste«, erwiderte er, »sofern es schöne große, dunkle, in Diamanten gefasste Steine sind. Man sieht wirklich gut damit aus.«
Als ich am nächsten Morgen in Lady Montdores Zimmer trat, um Abschied zu nehmen, traf ich dort Cedric, der in einem Morgenmantel aus blass malvenfarbener Seide auf ihrem Bett saß. Beide rieben sich die Gesichter aus einem großen rosa Topf mit einer Creme ein. Sie roch köstlich und gehörte gewiss ihm.
»Und danach«, sagte er gerade, »trug sie bis an ihr Lebensende (sie ist erst kürzlich gestorben) einen dichten schwarzen Schleier.«
»Und was tat er?«
»Er verteilte überall in Paris Karten, auf die er geschrieben hatte ›mille regrets‹ .«
4
Seit dem Augenblick, da die Montdores Cedric zu Gesicht bekommen hatten, war von einem vierzehntägigen Besuch keine Rede mehr; Cedric hatte sich offensichtlich für immer eingefunden. Beide schlossen ihn in ihr Herz und liebten ihn von Anfang an inniger, als sie Polly je geliebt hatten, seit sie kein Kind mehr war; die schreckliche Leere, die Pollys Fortgang hinterlassen hatte, wurde nun glücklich ausgefüllt, und zwar von einem Menschen, der im geselligen Umgang mehr zu geben vermochte, als Polly je gegeben hatte. Cedric konnte sich mit Lord Montdore sachverständig über die Kunstgegenstände in Hampton unterhalten. Er wusste sehr viel über diese Dinge, wenngleich er im herkömmlichen Sinne des Wortes durchaus ungebildet war, nicht sehr belesen, unfähig, die einfachsten Berechnungen anzustellen, und sonderbar unwissend in vielen elementaren Fragen des praktischen Lebens. Er gehörte zu den Menschen, die die Welt durch Auge und Ohr in sich aufnehmen; mit seiner Intelligenz war es wahrscheinlich nicht sehr weit her, aber seine Liebe zur Schönheit war echt. Den Bibliothekar in Hampton setzte er mit seinen bibliographischen Kenntnissen in Erstaunen. So konnte er zum Beispiel mit einem Blick erkennen, für wen und von wem ein bestimmtes Buch gebunden worden war, und der Bibliothekar meinte, Cedric wisse über französische Bücher des 18. Jahrhunderts sehr viel mehr als er selbst. Lord Montdore hatte seine liebevoll gehegten Besitztümer selten mit so viel Verständnis gewürdigt gesehen, und es bereitete ihm großes Vergnügen, sich mit Cedric stundenlang zwischen ihnen zu ergehen. Er hatte Polly abgöttisch verehrt; in der Theorie war sie sein ein und alles, aber in Wirklichkeit war sie ihm nie eine Gefährtin im geselligen Umgang gewesen.
Aus Lady Montdore hingegen machte das neue Glück während der nun folgenden Monate einen ganz anderen Menschen. Sie veränderte sich aber auch in anderer Hinsicht, seit Cedric begonnen hatte, sich um ihre äußere Erscheinung zu kümmern, und dabei ganz außerordentliche Ergebnisse erzielte. So wie Boy (daher rührte sein Einfluss auf sie) ihre Tage mit Geselligkeit und Malerei gefüllt hatte, füllte Cedric sie nun mit der Jagd nach der eigenen Schönheit, und für eine Egoistin wie Lady Montdore
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