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Liebe wird oft überbewertet

Liebe wird oft überbewertet

Titel: Liebe wird oft überbewertet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Rösinger
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der Großstadtsingle muss man sich in einer ländlichen oder kleinstädtischen Umgebung fürs Alleinleben immer noch rechtfertigen. Meine Freundin hat nie eine richtig ernstzunehmende längere Beziehung geführt, hatte es sogar bei Singletreffs probiert, wo es ihr aber zu grob und offensichtlich zuging, und inzwischen längst den Glauben verloren, »den Richtigen« zu finden. Von ihrer Familie wurde sie deshalb als Sorgenkind angesehen, obwohl die Ehen ihrer Geschwister absolut katastrophal verliefen.
    Aber als ich dann bei einem Sommerurlaub im Badischen auf sie traf, war alles anders. Sie strahlte: »Chrischtiane, du glaubsch nid, was mir passiert ist! Ich hab ihn getroffe!«
    »Ja wen denn?«
    » IHN HALT !«
    Also, es war so: Sie lernt ihn an Fastnacht, am »schmutzigen Donnerstag«, in der Festhalle kennen, sie unterhalten sich lange. Noch nie hat sie sich auf Anhieb so gut mit jemandem verstanden, es ist alles so vertraut mit ihm, als ob sie sich schon ewig kennen. Schließlich gehen sie zusammen zum Parkplatz, und sie traut ihren Augen nicht: Er fährt ein schwarzes Golf-Cabrio! Genau wie sie, dann schaut sie genauer hin, und es trifft sie fast der Schlag: Seine Autonummer RA (für Rastatt) PP 334 , und man will’s nicht glauben: ihre Autonummer ist RA PA 335 . Da weiß sie schon: Das kann kein Zufall sein, es ist etwas Größeres, es ist Schicksal.
    Dann die erste Fahrt in seinem Auto. Er fragt: »Willst du Musik hören?« Sie sagt ja. Er legt eine CD ein. Die CD läuft an, sie erstarrt vor wohligem Schreck, denn es ertönt die Harfe von Andreas Vollenweider. Genau ihre Lieblings- CD ! Das gibt es doch nicht, kann es denn sein, dass sich zwei Menschen so sehr ähneln, die absolut identischen Gedanken, den gleichen Geschmack haben? (Im Prinzip ja, könnte man hier einwenden, wenn die besagte CD grade in den Charts ist. Für »Down to the moon« hatte Andreas Vollenweider sogar als erster Schweizer einen Grammy erhalten, was vielleicht dem bedeutsamen Einsatz der Pedalharfe zu verdanken war. Vollenweider hatte das Instrument modifiziert und so die elektro-akustische Harfe erfunden.)
    Dann später in seiner Wohnung – es haut sie um: Genau die gleichen Sitzkissen (von Ikea)! Wie bei ihr daheim! Und er hat auch eine Katze! Schwarz mit weißem Fleck auf der Brust. Kann es so viel Übereinstimmung geben? »Und wie heißt deine Katze?«, fragt sie ihn und ahnt schon, was kommt. »Mohrle«, sagt er, und beiden wird ganz unheimlich zumute, sie halten sich ergriffen an den Händen.
    Es scheint so, als seien sie sich in einem früheren Leben schon mal begegnet und sind nun wieder vom Schicksal zueinander geführt worden. Seelenverwandtschaft halt.
    Viele kleine magische Momente zogen sich durch die ersten Wochen. Er sagt: »Ich rufe dich morgen nach der Arbeit an.« Nach Büroschluss ruft er tatsächlich an, und sie nimmt ab: »Das war jetzt Psi! Ich wusste genau, dass du es bist!«
    Sie trafen sich auf Stadtfesten, verabredeten sich zum Candle-Light-Dinner in der Pizzeria, sie fuhren zusammen in Gewerbezentren und gingen über Wochenmärkte, shoppen.
    Die Geschichte ging bald danach zu Ende. Er war ein recht bequemer Zeitgenosse, der nach der kurzen Phase der Werbung lieber zu Hause auf seinen Kissen weilte, während sie sich jemanden imaginiert hatte, der ihr eine neue Welt bot oder zumindest mit ihr zusammen die alte neu entdeckte, jemand, der sie mit seinem Elan ansteckte und jeden Tag eine neue verrückte Idee haben sollte, Ballonfahrten, Städtereisen, neue gemeinsame Hobbys.
    Wenn sie zart anklopfte und fürs Wochenende Unternehmungen anregen wollte, wurde er brummelig, sie habe gut reden, sie sei ja nicht so eingespannt wie er im »Gschäft«. Dabei war er bei der Stadt angestellt und eher unterbeschäftigt, während sie in einer Arztpraxis einen ziemlich stressigen Job hatte und von früh bis spät auf den Beinen war.
    Auf jede kleinste Kritik reagierte er hysterisch, es war ihm bald alles zu viel. Sie hatte sich das alles anders vorgestellt. Sie trafen sich seltener, telefonierten eher, schließlich wurde eine Verabredung kurz vorher abgesagt. Man gab vor, sich wieder zu melden, und ließ die ungeahnte Seelenverwandtschaft, die so nur einmal in einem Menschenleben auftritt, in wenn nicht offen ausgesprochenem Einverständnis, so doch mit gegenseitiger Billigung, ganz einschlafen.
    Als sie sich ein halbes Jahr später zufällig in der Fußgängerzone begegneten, tat sie so, als sei sie in das Betrachten der

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