Liebe wird oft überbewertet
Kunstbetrieb, die dumme Modewelt!
Das ewige Sich-Abstrampeln, das anstrengende Immer-wieder-was-Neues-Überlegen: Neue Musikprojekte, Buchprojekte, Wohnprojekte, Freundschaftsprojekte.
Aber sind wir deswegen amtsmüde und treten von unseren Ämtern zurück und ziehen uns in unsere Sommerhäuser nach Sylt zurück? Nein! Zum Glück haben wir nämlich keine Pensionsansprüche und uns deshalb längst damit abgefunden: Immer muss man alles selber machen, immer wieder von vorne anfangen.
Berlin, 12 . Juli
In diesem Jahr sind die Erlebnistouristen, die den Berliner Sommer so schwierig machen, besonders aufdringlich. Man fühlt sich wie ein Massentourist in der eigenen Stadt. Es wäre ja kein Problem, wenn die Besucher im Zentrum, am Brandenburger Tor oder vor dem Wachsfigurenkabinett bleiben würden, aber nein, sie kommen so gerne nach Kreuzberg, um hier ein Lebensgefühl zu besichtigen, und zerstören durch ihr haufenweises Auftreten jedes Flair.
Hostelhorden geifern durch die Straßen, schon der Sound der Rollkoffer, die über Asphalt und Kopfsteinpflaster gezogen werden, macht aggressiv. Und selbst die erztoleranten Kreuzberger, die in ihrem »Problemviertel« seit Jahrzehnten mit Dingen fertig werden, die in anderen Bezirken zu großen Auseinandersetzungen führen würden, verzweifeln so langsam an den durch die Straßen marodierenden Trinkergruppen und anderen Auswirkungen des Billigtourismus: Alteingesessene Geschäfte machen Fressläden Platz, immer mehr Wohnungen werden zu Ferienwohnungen. Kreuzberg wird zu einem Freizeitpark. Man lebt wie im Zoo, im eigenen Viertel. Man kann nicht mehr vor die Tür gehen, ohne unfreiwillig die lauten Gespräche der herumlungernden englischsprachigen Kurzzeitberliner anzuhören, die sich über »artspaces« und wie »awesome and actually very cool« hier alles ist, austauschen.
Früher hat man sich immer so auf den Sommer gefreut, weil der Berliner Winter so schlimm ist. Jetzt ist es im Sommer so furchtbar, dass man sich auf den Winter freut, weil da die Touristen weg sind. Man muss einfach rausfahren, raus aus Berlin, aufs Land!
Hügelsheim, 5 . August
Wenn der Städter aufs Land fährt, benimmt er sich dort ja auch sehr stereotyp und beklagt sich nach der ersten Begeisterung, dass so wenig los ist und man nicht gescheit weggehen kann. Trotzdem – nach zwei Wochen Landurlaub in der alten Heimat kann man schon ein bisschen verzweifeln. Die Kneipen und Bars sind, wie sie sind, und das Kulturprogramm im Umkreis von fünfzig km bewegt sich zwischen »Fluch der Karibik 4 «, »Die Chroniken von Narnia« und dem Fischerfest mit DJ Andi. Vorsicht ist beim Treffen mit alten Schulfreundinnen geboten. Ist dem Feuilleton der »Freelance-Proletarier« erst seit ein paar Jahren ein Begriff, was soll man den Leuten im badischen Spargeldorf antworten, wenn sie fragen: »Und was schaffsch du so?«
»Ach, ich schreib’ für Zeitungen, hab eine Kolumne beim Radio, mach Musik, schlag mich halt so durch …« Betretenes Schweigen.
»So eine Tanzband?«
»Nein, mehr so eigene Lieder.«
Noch tieferes Schweigen. Themawechsel.
»Und was macht dein Mann?«
Ländliche Verabredungen müssen lange im Voraus geplant werden. Will man sich mit einer Freundin gleich am nächsten Abend zum Getränk treffen, wird man angestarrt, als habe man einen Ausflug in den Swingerclub vorgeschlagen. Ausgehen unter der Woche ist tabu, hier geht jeder morgens zur Arbeit. Am Wochenende wiederum muss allgemein den Geschwistern, Eltern, Schwiegereltern im Haus, im Garten geholfen, muss gegrillt, müssen Katzen/Hunde gehütet werden. Gestandene Männer um die vierzig können nicht ins Kino gehen, weil sie abends warten müssen, bis »der Max« (zwei Jahre, Europäisch Kurzhaar) zum Fenster reingekommen ist.
Aber die professionelle Müßiggängerin kann aus jeder misslichen Lage einen Gewinn ziehen. So kann man auf dem Land prima neue Trends ausprobieren: Afternooning zum Beispiel. Das geht so: Stundenlang mit dem Hund spazieren, Fahrradfahren, schwimmen gehen – also tagsüber ein so körperlich anstrengendes Programm machen, dass man um halb elf abends todmüde ins Bett fällt und das Ausgehen gar nicht vermisst.
Die Liebe macht Menschen zu Idioten
Eine Schulfreundin aus meiner Grundschulklasse mochte ich, auch als wir schon erwachsen waren, lieber als die anderen. Vielleicht, weil sie entgegen dem stereotypen Lebensablauf: Fester Freund, heiraten, bauen, Kinder kriegen, allein geblieben war. Anders als
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