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Liebe wird oft überbewertet

Liebe wird oft überbewertet

Titel: Liebe wird oft überbewertet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Rösinger
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    Von einer Geschlechtertrennung berichtet auch die hinduistische Brihadaranyaka-Upanishad – dass der Mensch anfangs ganz allein war und sich Gesellschaft wünschte. Dieses Wesen war so groß wie Mann und Frau bei der Umarmung. Es ließ sich in zwei Teile zerfallen, so entstanden Gatte und Gattin. »Darum sind wir beide hier nur wie ein Halbstück«, sprach Yajnavalkya.
    Wenn diese Geschichte vom Menschen, der einst eins war und dann getrennt wurde, in der Bibel, im Schriftwerk der Kabbala, im Koran, in den indischen Upanishaden und in anderen Mythen der Urvölker vorkommt, kann man davon ausgehen, dass es sich um einen Archetypus handelt, also um ein im kollektiven Unbewussten angesiedeltes menschliches Vorstellungsmuster. Das Wissen um seine Sterblichkeit kann den Menschen zur Verzweiflung bringen, da ist die Sehnsucht nach einem Gefährten, einem verlorengegangenen Teil verständlich, aber nicht unbedingt ein Beweis für die Existenz der Liebe.
    Der Mensch sehnt sich auch seit jeher nach Unsterblichkeit und träumt vom Fliegen.
    Der Gegenbeweis – das Brückenexperiment
    Dass die »Liebe auf den ersten Blick« nichts Magisches hat, sondern immer der Affektlage der angeblich Verliebten geschuldet ist, beweist das berühmte Brückenexperiment.
    Biologen und Psychologen sind sich inzwischen einig, dass Aufregung, egal, woher sie rührt, ein entscheidender, aber manipulationsfähiger Parameter ist, um Empathie, ja, sogar tiefe Zuneigung und Leidenschaft zu erwecken. Physische Erregung etwa durch Angst oder durch Sport wird als Verliebtheit interpretiert, wenn die anwesende Person als Sexualpartner plausibel ist.
    Diese Annahmen gehen auf die Gefühlstheorie von Stanley Schachter aus dem Jahr 1964 zurück. Die Theorie des amerikanischen Psychologen besagt, dass spezifische Gefühle (Wut, Freude, Angst etc.) erst aufgrund unterschiedlicher Interpretationen bei physiologischer Erregung entstehen. Es wird davon ausgegangen, dass die physiologische Erregung zuerst unspezifisch und bei allen Gefühlen gleich ist. Als welches Gefühl eine Erregung dann interpretiert wird, hängt von der Situation und den äußeren Reizen ab. Liebe kann nach diesem Ansatz beispielsweise dann entstehen, wenn man zu einem Zeitpunkt physiologischer Aktivierung (Herzklopfen, erhöhter Puls, Schwitzen etc.) einer attraktiven Person begegnet und die Aktivierung aufgrund dieses äußeren Reizes als Liebe interpretiert und registriert wird.
    Wie stark romantische Anziehung durch diese Fehlattribution von Erregung intensiviert wird, haben die Wissenschaftler Donald Dutton und Art Aron in einem Experiment untersucht. Das berühmte »Brücken-Experiment« der US -Psychologen wies diesen Zusammenhang bereits in den siebziger Jahren nach. Schauplatz war der Capilano-Canyon, ein großer Naturpark, zehn Minuten von Vancouver entfernt. Dort gibt es die größte Fußgängerhängebrücke der Welt, die Capilano Suspension Bridge, eine beliebte Touristenattraktion. Sie ist gut einen Meter breit und 140  Meter lang. In einer Höhe von siebzig Metern ragt sie über den rauschenden Capilano River. Das Geländer ist niedrig, und es kippt und schaukelt ununterbrochen. Flussaufwärts befindet sich eine zweite Brücke. Sie besteht aus festem Zedernholz, ist drei Meter hoch und führt über einen schmalen Nebenarm des Flusses.
    In dem Versuch wurden nun zwei Gruppen junger männlicher Testpersonen von einer nach allgemeinen Regeln für »attraktiv« befundenen Frau um die Beantwortung eines Fragebogens gebeten, außerdem verriet sie den Männern im Anschluss ihre Telefonnummer, um ihre Arbeit erläutern zu können, wenn dies einmal die Zeit zulasse.
    Die erste Männergruppe traf die Frau nach der stabilen Zedernholz-Brücke. Die zweite Gruppe dagegen schickten die Forscher auf die Hängebrücke. Von diesen Männern meldete sich die Hälfte bei der Frau, aus der Vergleichsgruppe riefen nur zwölf Prozent an. Die Psychologen schlussfolgerten: Die durch die Brücke hervorgerufene Spannung – Angstgefühle, Schwindel, zittrige Knie – wurde auf die Frau projiziert. Sie wirkte unter diesen Umständen anziehender.
    Darüber hinaus wurden die Männer dazu aufgefordert, zu einem Bild eine freie Geschichte zu erfinden. Diejenigen, die die hohe und stark schwankende Brücke überquert und am Ende eine Frau angetroffen hatten, erzählten am häufigsten Geschichten mit sexuellem Inhalt. Auch war unter diesen Voraussetzungen die Anzahl derer am größten, die

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