Liebe wird oft überbewertet
Cordhosen in Dunkelgrün und Schlamm – das scheinen die Farben der Herbstsaison zu sein!
Man muss sich gut zureden: In Berlin ist der Herbst doch schön, der goldene Oktober steht noch bevor, und war es nicht manche Jahre noch bis November ganz warm? Und hat die Stadt im Herbst nicht auch schöne Seiten, wenn neue Platten, neue Bücher herauskommen und die Konzertsaison beginnt?
Ist es nicht auch ein Segen, dass nun Schluss ist mit dem oberflächlichen Summer-Feel-Good-Getue, mit der Festival-Hurra-Berichterstattung und dem Sommerloch? Und sind Herbst und Winter nicht auch Monate der Geselligkeit, kommt es nicht auf uns selbst an, was wir draus machen? Partys feiern, Tatort-Sonntagstreffen, trauliche Spaziergänge durch das raschelnde Herbstlaub, öfter ins Kino und ins Theater gehen?
»Das mag alles sein«, sagt sich der Melancholiker und macht sich trotzdem mit Wehmut auf das baldige Sommerende gefasst, um sich auf die melancholischste Jahreszeit, den Herbst, vorzubereiten.
Vielleicht kommen ja neue Serien im Fernsehen? Die Serien sind ja auch nicht mehr das, was sie mal waren, aber soll man jetzt anfangen wie die blasierten Fernsehverächter nur noch neueste amerikanische HBO -Serien auf DVD zu schauen, um mitreden zu können? Nein, auch wenn das deutsche Fernsehen tatsächlich jedes Jahr blöder wird.
Aber für den soziologisch interessierten Menschen ist das Fernsehen halt doch wichtig, weil da kulturelle Entwicklungen und Codes – zwar auf recht niedrigem Niveau, dafür in ihrer Plattheit und ihren Strukturen umso deutlicher und offensichtlicher – zutage treten. Bei den Privatsendern wird das Programm schon seit einigen Jahren vom Erziehungsfernsehen, auch Unterschichtfernsehen genannt, dominiert.
»Bauer sucht Frau«
Die Doku-Soaps des Erziehungsfernsehens sollen uns ja zeigen, wie man Kinder erzieht, Häuser findet, das Haus einrichtet, renoviert, Schulden los wird, sich im Jobcenter durchsetzt, einkauft, kocht, abnimmt, das Beste aus seinem Typ macht, verkorkste Teenager bändigt, richtig auswandert, richtig wieder einwandert, sich mit den Nachbarn versöhnt und natürlich den Traumpartner findet.
Wobei die sogenannten »Kuppelshows« die kurzlebigen Formate sind. Wer erinnert sich schon noch an »Giulia in Love«, »Gräfin gesucht«, »Der Bachelor«, »Schwiegertochter gesucht« oder »Dating im Dunkeln«?
Einzig »Bauer sucht Frau« hat überlebt. Vielleicht, weil es das robustere Format ist – es gehört zu den erfolgreichsten Sendungen im deutschen Fernsehen. Und im Herbst läuft die neue Staffel an!
Das deutsche Pendant zum englischen Erfolgsformat »Farmer wants a wife« besticht durch unverblümte Ehrlichkeit. Ein Bauer sucht eine Frau zur Mithilfe in Haus und Hof und als sexuelle Dienstleisterin, das Romantik-Brimborium wird von RTL dazugeliefert. Die schüchternen, medien- und beziehungsunerfahrenen Bauern haben ja oft keine Sprache für die Liebe und gehen in der Partnerwahl nach recht praktischen Erwägungen vor. Ihre Hilflosigkeit in Herzensdingen hat trotzdem etwas Anrührendes, auch wenn sie noch so grobschlächtig auftreten, strahlen sie dabei doch manchmal eine knabenhafte Keuschheit aus.
Es heißt zwar vonseiten der Redaktion, es sei nichts inszeniert, sondern man verfahre nach dem Prinzip »camera follows action«. Dass die Herzensergießungen der Single-Landwirte dann doch gescriptet sind, bemerkt man spätestens dann, wenn die Bauern recht unbeholfen und mit manchmal schwerer Zunge von »Schmetterlingen im Bauch« und vom »Herzklopfen und Kribbeln« sprechen. Sie werden angehalten, romantische Rituale auszuführen, welche sich ein städtisches Publikum gemeinhin als bäuerlich vorstellt (im Heu herumliegen, Billigsekt beim Picknick auf der Wiese trinken), bringen manchmal aber auch kreativ eigene Ideen ein. Dann lassen sie zum Beispiel Rosen vom hochgefahrenen Heuwender regnen – eine sehr schöne Idee, weil durch diese Geste auch das zärtliche Gefühl des Landwirts zu seinen Maschinen ausgedrückt wird.
Was macht die Sendung bloß so beliebt? Vielleicht die Sprache? Die alliterationssüchtigen Redakteure schrieben der Moderatorin von der ersten Staffel an zur Charakterisierung ihrer Vermittlungskandidaten eine Überdosis Adjektive ins Skript: Der raubeinige Rinderwirt, der pfundige Pferdebauer, der einsame Emsländer, sportliche Schweinebauer, herzliche Holzbauer, fröhliche Friese, der gemütliche Gemüsebauer, muntere Milchbauer, herzliche Hesse,
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