Liebe wird oft überbewertet
Gebrauch von dem Angebot machten, die Mitarbeiterin anzurufen und einen Termin für ein weiteres Treffen zu vereinbaren.
Physiologische Erregung scheint also insgesamt Gefühle hervorzurufen, und die Theorie des Erregungstransfers wurde auch durch Ergebnisse nachfolgender Untersuchungen und Experimente empirisch gestützt.
Auch chemisch wurde dieser Zusammenhang nachgewiesen: Männer, denen etwas Adrenalin gespritzt worden war, fanden Frauen attraktiver als Männer, denen kein Stresshormon injiziert worden war. Wenn also in der Phase, in der das Erregungsniveau im Organismus unbemerkt noch relativ hoch ist, ein neues, ebenfalls Erregung auslösendes Ereignis eintritt – etwa eine hochattraktive Person im Blickfeld auftaucht –, dann addieren sich Resterregung und neue Erregung. Menschen reagieren dann stärker, je nach Situation positiver oder negativer. Dabei kann dieser Erregungstransfer so raffiniert ablaufen, dass er uns nicht einmal in Ansätzen bewusst wird.
Wie so oft ist da die Literatur den Naturwissenschaften voraus. Lange vor dem Brückenexperiment beschrieb Marcel Proust dieses Phänomen bereits um 1908 in seinem Roman »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«: »Von allen Arten der Erzeugung von Liebe, von allen Wirkkräften zur Verbreitung der heiligen Krankheit ist sicher dieser gewaltige Erregungssturm, der uns manchmal erfaßt, eine der zuverlässigsten. Dann fällt das Los unweigerlich auf die Person, mit der wir im Augenblick gerade gern zusammen sind; sie ist es, die wir lieben werden.«
Berlin, 16 . August
Heiß war es die letzte Woche, unerträglich heiß. Die unmenschliche Hitze staute sich in den Straßen, stieg die Häusermauern hoch, wurde dort nachts wie in einem Kachelofen gespeichert. Die Nächte brachten keine Abkühlung, und tagsüber heizte sich der Moloch Berlin weiter auf. Dieser Zustand wurde bislang »Sommerhitze« genannt, heißt aber seit neuestem »Urban-Heat-Phänomen«. Der Kampf gegen diese Plage ist aussichtslos.
Die Hitze macht alle verrückt, auf den Straßen wird gehupt und aus den Autos rausgeschrien. Radfahrer fegen einen mit hochrotem Kopf vom Gehweg, Stressjugendliche und Problembademeister geraten in den Freibädern aneinander, die dann polizeilich geräumt werden müssen. In Neukölln sah ich gestern einen oberarmrundumtätowierten Muskelshirtträger seinen müden Kampfhund über die Straße ziehen, dem armen, leicht verfetteten Tier machte die erbarmungslose Hitze zu schaffen.
Drinnen bleiben ist bei 32 Grad Raumtemperatur auch keine Lösung. Wie soll man Lufttunnel bauen, wenn alle Fenster in eine Richtung gehen?
Man ist zu nichts fähig, außer liegend leichte Unterhaltungskost zu konsumieren. Freitagnacht kam ein Stauffenberg-Film – unmöglich, bei der Hitze der Handlung zu folgen. Wer ist jetzt beim Komplott dabei, wer nicht? Diese undurchsichtigen Befehlsstrukturen, das ewige zackige Durch-Holzzimmer-Gehen – alle Grafen, Vons, Reichs- und Feldmarschalle sehen so gleich aus – und dass der melancholische Tatortkommissar aus Kiel mitspielt, macht die Sache auch nicht einfacher.
So kann es nicht weitergehen. Wir müssen hier raus! Raus aus Berlin!
Usedom, 17 . August
Das kurz entschlossene Taschepacken und Wegfahren war sehr befreiend. Dann die Fahrt mit G. und G. raus aus dem Hitzestau durch brandenburgische Baumalleen zur »Badewanne Berlins«, zur Insel Usedom.
Der Badeort Bansin, eines der drei »Kaiserbäder« auf Usedom, wurde laut Wikipedia 1897 eigens zum Badebetrieb von einem Berliner Hühneraugenoperateur gegründet.
Es gibt Fischräucherbaracken am Strand und überall Restbestände dieses leider so langsam aussterbenden abgeblätterten Ostcharmes, alles wirkt angenehm entschleunigt. Viele Rentnerpaare sind unterwegs, sehr oft hört man den sächsischen Dialekt, und der Strand ist ganz gerecht in gleich lange Textil-, FKK - und Hunde-Abschnitte aufgeteilt. Das Beste: Immer weht hier eine frische Brise vom Meer. Herrlich.
Das Leben im Ostseeheilbad ist beschaulich. Man liegt am Strand rum und geht ab und zu ins Wasser und mehrmals täglich die Strandpromenade entlang zur Seebrücke. Keine Belästigung durch Romantik-Selbstdarsteller. Auf den Hotelterrassen die üblichen schweigenden Paare – er mufflig hinter der Zeitung, sie dauerbeleidigt – oder muntere Kaffee-und-Kuchen-Runden der lustigen Witwen der Generation 70 plus.
Die einzigen Paare, die etwas wirklich Schönes, Rührendes haben, das sind die ganz alten.
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