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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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übrigens 1477 gegründet.
    In Stockholm wählst du einfach 708 96 93
    Geir
    Du hast etwas gegen Telefone? Dann sehen wir uns am Hauptbahnhof (wo dein Zug ankommt), heute Nachmittag um 17.00 Uhr. Mitten in der Halle gibt es ein rundes Geländer (im Volksmund »Schwulenring« genannt). Da treffen wir uns. Aber ruf mich bitte an, wenn dir kurzfristig etwas dazwischenkommt! (So ein großer Gegner des Telefonierens kannst du nun auch nicht sein)
    Geir
    Das war unsere Korrespondenz. Ich bezweifelte nicht die Ehrlichkeit seines Angebots, bei ihnen zu wohnen, trotzdem fiel es mir schwer, es anzunehmen. Uns zu treffen und irgendwo einen Kaffee zu trinken, hätte besser zu den Umständen gepasst. Andererseits hatte ich nicht viel zu verlieren. Außerdem kam er ja nur von Hisøya.
    Ich schloss die Datei und warf einen Blick zum Tisch der drei Mädchen, ehe ich nach meinem Rucksack griff und aufstand. Die eine, die gerade das Wort führte, sprach mit einer Art beleidigten Intensität, ungeheuer selbstbestätigend, und die anderen pflichteten ihr mit der gleichen Intensität bei. Hätten
sie nicht gesprochen, wäre ich davon ausgegangen, dass sie ungefähr neunzehn waren. So wusste ich, dass sie etwa fünfzehn sein mussten.
    Das mir am nächsten sitzende Mädchen drehte den Kopf und begegnete meinem Blick. Nicht um mir etwas zu geben, es war kein offener Blick, sondern um festzustellen, dass ich sie sah. Trotzdem löste er etwas aus. Einen Blitz von etwas, das an Freude erinnerte. Dann, als ich zum Bezahlen an die Kasse ging, folgte der Donner des Bewusstseins. Ich war dreiunddreißig Jahre alt, also ein erwachsener Mann. Warum dachte ich dann, als wäre ich noch immer zwanzig? Wann würde mich dieses jugendliche Denken verlassen? Als mein Vater dreiunddreißig war, hatte er einen Sohn von dreizehn und einen zweiten von neun Jahren, er hatte ein Haus und ein Auto und einen Job, und wenn man Bilder von ihm aus jener Zeit betrachtete, sah er aus wie ein Mann, und soweit ich mich erinnere, benahm er sich auch wie ein Mann, überlegte ich und stellte mich vor den Tresen. Legte meine warme Hand auf die kalte Marmorplatte. Die Bedienung stand von einem Stuhl auf und kam zum Kassieren zu mir.
    »Wie viel macht das?«, sagte ich auf Norwegisch.
    »Bitte?«
    Ich seufzte.
    »Was kostet das?«
    Sie warf einen Blick auf den Bildschirm vor sich.
    »Zehn«, sagte sie.
    Ich gab ihr einen zerknüllten Zwanzigkronenschein.
    »Stimmt so«, sagte ich und ging, bevor sie noch eins von ihren »Bitte?« loswerden konnte, von denen dieses Land überzuquellen schien. Auf der Uhr in der Bahnhofshalle war es sechs vor fünf. Ich stellte mich an meinen alten Platz und betrachtete die Leute, die rund um das Geländer standen. Als keiner von ihnen zu dem wenigen passte, was ich
an Anhaltspunkten hatte, ließ ich den Blick über die Menschen schweifen, die durch die Halle gingen. Aus dem Kiosk an der gegenüberliegenden Seite kam ein kleiner Mann mit einem großen Kopf und einem so speziellen Aussehen, dass mein Blick ihm folgte. Er war in den Fünfzigern, seine Haare waren gelblich, das Gesicht breit, die Nase groß, der Mund leicht schief und die Augen klein. Er sah aus wie ein Gnom, trug aber Anzug und Mantel, und in der Hand hielt er eine elegante Ledertasche, unter den Arm hatte er sich eine Zeitung geklemmt, und vielleicht lag es daran, wie sich eine andere Natur unter dem großstädtischen Äußeren herauszupressen schien, dass ich ihn nicht aus den Augen ließ, bis er auf der Treppe verschwand, die zu den Bahnsteigen hinunter führte, auf denen die Pendlerzüge abfuhren. Plötzlich sah ich wieder, wie alt alles war. Die Rücken, Hände, Füße, Köpfe, Ohren, Haare, Nägel, alles, woraus die Körper bestanden, die durch die Halle strömten, war alt. Das Stimmengewirr, das von ihnen ausging, war alt. Selbst die Freude war alt, selbst die Lust und die Erwartungen daran, was uns die Zukunft bringen würde, waren alt. Und irgendwie auch neu, für uns war sie neu, für uns gehörte sie zu unserer Zeit, gehörte die Schlange der wartenden Taxis draußen, gehörten die Kaffeemaschinen auf den Arbeitsflächen in den Cafés, gehörten die Regale mit den Illustrierten in den Läden, gehörten die Handys und iPods, die Goretex-Jacken und die Notebooks, die in ihren Taschen durch die Halle und in die Züge getragen wurden, gehörten die Züge und die automatischen Türen, die Fahrkartenautomaten und die elektronischen Anzeigen mit wechselnden Fahrtzielen dazu.

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