Lieber Dylan
nervös. Ich sah einfach hinüber zu Jamie, bevor ich anfing, denn ich wusste, er würde mir wieder so ein Lächeln senden. Und wieder fühlte ich mich, als hätte ich ein geheimes Zeichen bekommen, das nur ich verstehen konnte und das mir Kraft gab. Hast du es nicht geliebt, diesen Song zu singen, als du die Blousey gespielt hast? Er steckt so voller Bedeutung, nicht wahr? Ich brauchte nichts weiter zu tun, als an mein trauriges Leben zu denken und an all die Träume, die ich hatte und die sich nicht erfüllt haben, und während ich sang, brachte ich um ein Haar mich selbst zum Weinen. Als ich fertig war, nahm Debbie mich in den Arm und sagte: »Gut gemacht«, also dachte ich mir, dass ich ihr genauso gut jetzt sagen konnte, dass ich morgen nicht kommen würde. Außerdem war es fünf Minuten vor vier, es hieß also: jetzt oder nie. Als ich es ihr sagte, wurden erst mal alle still – vermutlich warteten sie darauf, dass sie wütend werden würde – aber sie war überhaupt nicht böse. Und sie hat meine Rolle keiner anderen gegeben. Stattdessen fragte sie mich, ob ich mich vielleicht irgendwie am Wochenende mit Jamie treffen könnte, um unsere Szenen durchzuspielen!! Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich sah natürlich nicht in Jessicas Richtung, so viel stand fest. Und dann hörte ich Jamie sagen: »Klar, kein Problem«, also nickte ich nur. Und dann sagte Debbie: »Das war’s für heute«, also standen wir alle auf und gingen.
In der Minute, in der wir fertig waren, kamen Jessica und die beiden Kates herüber, und Jessica lächelte auf wirklich merkwürdige Weise, als ob ihr jemand die Mundwinkel mit einem Brecheisen in die Höhe drückte. »Warum kannst du denn morgen nicht kommen, George?«, fragte sie, und ihre Worte wirkten genauso gezwungen wie ihr Lächeln. »Ich muss zu der Mutter von meinem Stiefvater gehen«, antwortete ich und sammelte Michaelas Spielsachen ein. »Kannst du ihm nicht sagen, dass es wichtig ist?«, zischte sie zurück.»Kannst du ihm nicht sagen, dass du proben musst?« Ich schüttelte den Kopf. Und dann hatte ich eine geniale Idee. Ich würde ihr die Wahrheit sagen, dann würde sie Mitleid mit mir haben und begreifen, dass ich keine Wahl hatte. Und sie würde nicht mehr wütend auf mich sein, weil ich eine private Probe mit Jamie bekam. »Meine Eltern wissen nicht mal, dass ich hierherkomme«, flüsterte ich. Das sollte schon genügen, dachte ich. Normalerweise ist es Jessica, die ihre Eltern anlügt, also würde sie sicher beeindruckt sein zu hören, dass diesmal ich es tat. Doch statt ihren Kopf zurückzuwerfen und zu lachen oder mich in den Arm zu nehmen (wie ich irgendwie gehofft hatte), starrte sie mich nur an. Dann sah sie die beiden Kates an. Ihr gespieltes Lächeln war total verschwunden. »Ist das dein Ernst?«, fragte sie endlich, sah wieder mich an und schüttelte den Kopf. Irgendetwas an der Art, wie sie mich ansah, erinnerte mich an den Ton-Zerstörer, und ich fühlte, wie meine Wangen erröteten und meine Augen zu brennen begannen. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich Angst, ich würde anfangen zu weinen. Ich habe es so satt, dass die Leute mit mir sprechen, als ob ich eine totale Idiotin wäre, die nichts richtig machen kann. Aber dann spürte ich, wie mich jemand an der Schulter berührte. Ich drehte mich um und sah Jamie, der mir ein Stück Papier hinhielt. »Hier ist meine Nummer«, sagte er mit seiner rauen Stimme. »Ruf mich Samstag früh an, dann treffen wir uns.« Aber noch ehe ich antworten konnte, ist er gegangen. Ich sah das Stück Papier an und dann Jessica, und plötzlich wollte ich nicht mehr weinen, sondern lachen. Denn irgendwie war es mir an diesem merkwürdigsten aller merkwürdigen Tage gelungen, die Telefonnummer des Jungen zu ergattern, den sie seit zwei vollen Jahren liebte! Und ich weiß ja, ich habe diese Nummer nicht bekommen, weil er mich mag oder weil er sich mit mir verabreden will oder so was in der Art, aber es war so schön, ein einziges Mal etwas zu haben, das Jessica wollte. Ich glaube, Jessica konnte auch nicht glauben, was da ablief. So wie ihre Augen vor und zurück sprangen, sah es aus, als wisse sie nicht, ob sie Jamie hinterherlaufen oder bei mir – und der kostbaren Telefonnummer – stehen bleiben sollte. Ich hob Michaelas Tasche auf und nahm sie an dieHand. »Komm, Michaela, wir müssen los«, sagte ich, und wir gingen geradewegs nach draußen. Jessica und die beiden Kates ließen wir wie ein Glas mit
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